Barlachs Verhältnis zu Kunst und Religion
Barlachs Verhältnis zum Christentum
- Brief an Wolf-Dieter Zimmermann, Oktober 1932
- Brief an Johannes Schwartzkopff, Dezember 1932
Brief an den Theologiestudenten Wolf-Dieter Zimmermann
Im Herbst 1932 wurde der 20-jährige Berliner Theologiestudent Wolf-Dieter Zimmermann durch eine Aufführung des "Blauen Boll" sehr beunruhigt:
"Die Menschen waren nur Menschen, dann aber verkörperten sie auch wieder mehr. Vergebung und Entsühnung vollzog sich indirekt, ohne kultische Sicherheit und liturgische Formel. Und das Werden endete auch nur in einer Art von besserem - verantwortungsbewußterem - Menschsein. Damit bin ich nicht fertig worden. Ein Werden, das nicht in christlichen Glauben mündet und in bewußter Kirchenmitgliedschaft endet, war mir fremd." [1]
Tief beunruhigt schrieb er deshalb an Barlach. In seinen Erinnerungen liest sich das so:
"Kirche - das war der Ort des besseren Lebens und des tieferen Wissens. Und nun Boll - er stand daneben und blieb ohne jede Hinwendung zur Religion. Ein rein humanistisches Werden - war das nicht eher Lästerung als Offenbarung? Dennoch: Diese Perspektive des Werdens, eines Werdens, an dem Gott und Teufel beteiligt sind, hat mich aufgeschreckt. Am meisten störte mich, daß der Ausgang bei der ganzen Sache offenblieb, daß nicht erkennbar wurde, ob Boll zuletzt nun Heide bleibt oder Christ wird, als Geretteter lebt oder wieder sich selbst verfällt. Ein Punkt auf einem Weg wurde beschrieben; aber was kommt danach, und wie geht?s weiter? Einige Wochen später schrieb ich an Barlach. Ich werde wohl nicht allzu verständnisvoll geschrieben haben, als angehender Theologe mit vorgegebener Christen-Perspektive." [2]
Ernst Barlach antwortet ihm aus Güstrow am 18. Oktober 1932: [3]
Sehr geehrter Herr, zu ein paar Worten reicht es - eine ausreichende Gelegenheit findet sich nicht; seit Jahren konnte ich nicht nach Wunsch ausführliche Antworten auf Zuschriften gleich der Ihrigen geben.
Lassen Sie bitte zu, daß ich Ihre theologischen Einwürfe und Darlegungen beiseiteschiebe. Daß ich kein Theologe bin, d. h. nicht theologischen Vorstellungen verpflichtet, wissen Sie; ich bin auch kein Philosoph; das ist, was ich gelernt habe und nun weiß - indes, wenn ich sage, daß ich es weiß, so beruht das doch auf einem Wenig Einsicht in das Philosophische. Aber das schaltet sich von selbst aus; wir brauchen also nicht philosophisch zu debattieren. Es bleibt übrig, daß ich Künstler bin, doch wohl ausschließlich. Meine Möglichkeiten des Ausdrucks sind daher die künstlerischen. Ich kann, ob so oder so ist nicht die Frage, gestalten; meine Gestalten sind gut, wenn sie echt sind, schlecht, wenn sie aus der Spekulation kommen; sie reden aus sich, nicht aus mir, und so sind sie verständlich oder unverständlich - je nach der Empfänglichkeit des Betrachters. Was ich für mein Teil, als Mensch und Zeitgenosse, meine und denke, hat natürlich mit meinen Gestalten zu tun, sonst würde ich sie nicht in mir lebendig werden fühlen. Ich bin also in ihnen allen mit drin und gewiß ein schlechter Parteigänger, d.h. die sympathischen oder üblen Charaktere gelten mir gleich - für mein Teil, vor mir selbst versuche ich redlich zu sein; wobei es sich dann wohl ergibt, daß ich mich mit besonderer Energie einer "edlen" oder "erhabenen" Gestalt annehme, ohne darin irre zu werden, daß wir alle gleichen Urgrunds sind, und ich weder zum Richten noch zum Werten befugt bin.
Sie sind jung, ich bin alt, wollte ich Ihnen meine letzten Weisheiten auskramen, so täte ich Unrecht. - Was werden kann, geschieht - ich weiß nicht wodurch oder warum. Gewiß ist, daß jeder sein Teil selbst erleben, erkämpfen und erleiden muß. Die Phasen des Daseins tun mit uns, was ihres Amtes ist, sie durchzuleben kann nimmer umgangen werden, keine darf abgekürzt oder überschlagen werden. Was mir vor 10-20-30 Jahren unerhört wichtig erschien, die Probleme, an denen man zu verbluten bereit gewesen wäre, sind eines schönen Tages abgetan. Es geht eine neue Sonne auf, und nichts kann gewisser sein als die Wichtigkeit des Neuen und die Abgewelktheit des Alten. Zum Werden verhilft einzig bereit sein - in ehrlicher Unerschrockenheit und mit dem Willen, keinerlei Dogmatik über sich Gewalt zu lassen. Man weiß vielleicht, auch dieses andere, dieser neue Berg, wird überstiegen, das Kommende ist unerrechenbar - bis man steckenbleibt und zum Beharren gezwungen wird, weil die Natur nicht weiterkann, deren Spannkraft in uns verschieden ist. Die Umgrenztheit eines bestimmten, religiösen, philosophischen oder allgemein weltanschaulichen Daseins ist gewiß ein Glück, gewiß kein Verdienst. Ich will gestehen, sie scheint mir oft beneidenswert - aber es ist mir nicht gegeben. Das Werden in mir ist schrankenlos, solange ich Vertrauen habe, daß es mich hebt. Aber wenn es mich wer weiß wohin brächte, ich würde nicht ein Wort der Klage finden.
Um vom "Bl. Boll" zu sprechen - er hat "Schwere und Streben" in sich, er gelangt nicht über sich hinaus trotz seines Woher, Warum, Wozu? Es ist die unbegreifliche Herrlichkeit im Geschehen, von der ich glaube, daß sie ewig verborgen ist; man kann wohl nie mit dem Finger daran tippen, nie ihren Zweck einsehen. Manchmal scheint mir innerste Erfahrung auf das Aufgehen des Persönlichen im "Überpersönlichen" (was ist das aber nun?) als Erlösung und Lösung aller menschlichen Kreatur zu weisen. Ich bin dann sicher, daß der Teil und das Ganze in eins fallen. [4]
Aber dem Menschen ist das Persönlichsein eingeboren, er personifiziert unweigerlich das Ganze und setzt es als anderes gegen sich, den Teil. Und wenn man, wie ich zum Glück oder Unglück, ganz und gar Künstler ist, so ist man unbedingt Gestalter, d. h. dem Persönlichsein verfallen; da ist ein Fluch über mir, der mich zur Lästerung des Heiligen bringen würde, wenn nicht das Wissen um Heil und Heiliges etwas selbstherrlich sich etablierte, ein Wissen, dem zu entsprechen man nie bereut, das man allerdings in seinen Ausdrucksformen stets bereit sein muß, sich wandeln zu sehen. In meinem "Findling" sagt ein
Beter: Armer Freund, mußt du mich auch arm machen? Ich war drauf und dran, im Wohl zu ertrinken, und rettest du mich in die gemeine Gewöhnlichkeit? Ich fing da an, womit das Ende abschließt, ich merkte was davon, worauf es bei allem hinausläuft - und nun ...
Alter: Sprich, sprich, fang an!
Beter: Kein Anfang, Freund, und kein Ende - es geht nicht mit Worten zu, es fängt mit Stillschweigen an. Die Zunge ist dabei das allerüberflüssigste, und was am letzten gilt - es läßt sich nicht sagen, hinter der Zunge und hinter den Worten fängt es an. (Heult.) Es ist vorbei, und ich muß reden, weil ich nichts weiß! [5]
Sehen Sie, man will "wissen" und verlangt nach dem Wort, aber das Wort ist untauglich, bestenfalls eine Krücke für die, denen das Humpeln genügt. [6] Und dennoch ist im Wort etwas, was direkt ins Innerste dringt, wo es aus dem Lautersten, der absoluten Wahrheit kommt. Jeder aber versteht es anders, er vernimmt das, was gemäß seiner Art Anteil am Ganzen, ihm verständlich, sage lieber, wessen er sich bewußt wird. Hängt er sich an Auslegung, Gemeinverständlichkeit, so kann er wohl seinen Trost haben, da es für ihn nichts Besseres gibt.
Man soll niemand aus dem Häuschen seines Trostes scheuchen. Es gewährt doch ein Dach, aber ich argwöhne doch, daß volle Verzweiflung in höchste Gewißheit führen kann. Das Nichts am Wortmäßigen mag wohl noch ans Absolute grenzen - Zahl, Ton, reine Form sind Heger der Geheimnisse, Worte sind nicht eine Sekunde das Gleiche - man sagt "Gott", und jedermanns Belieben macht sich daran. Ich bin des Wortes schon lange satt, und es kommt mir doch immer wieder auf die Lippen. Wenn ich überhaupt für das Höchste, für das meiner Meinung nach der Mensch kein Augenmaß hat, wie er mit dem körperlichen Auge ja auch nicht den unendlichen Raum als Tiefe erfaßt, sondern als Fläche, die letzten Sterne scheinen neben den nächsten zu stehen - wenn ich also vom Höchsten wortwörtlich abhandeln wollte, so würde ich vielleicht der Vielgötterei den Vorzug geben. Da kann man, ohne rot zu werden, von "dem" Gott reden, der ja dann ein Mannartiges wäre, oder von "ihr", der Göttin so und so, oder von meinem, dem deutschen oder gar nationalistischen. - Und nun liegt doch wieder Gewalt und Zeugnis vom nach menschlichen Begriffen Erhabensten in der Art der Vertonung und Wortlaut des: "Heilig, Heilig ist der Gott Zebaoth, und alle Lande sind seiner Ehre voll." - Wer's hört, der hat's, aber wer ausdeutet, der begreift es nur, hat einen Plunder von musikalischem oder sonstigem Fachwissen in Händen.
Schon zu viel Worte!
Ich bitte wegen der Schrift um Nachsicht, ich arbeite über Tag, und das Handgelenk ist unsicher.
Mit Grüßen Ihr E. Barlach
[1] Wolf-Dieter Zimmermann, Gerechtigkeit für die Väter, Berlin: CVZ-Verlag 1983, S. 162 f.
[2] ebenda, S. 163.
[3] Ernst Barlach an Wolf-Dieter Zimmermann, 18. Oktober 1932, Piper B II 326-328.
[4] Erich Gutkind: "Jedes Einzelne steht in der Allheit, und Allheit ruht in jedem Einzelnen." (Siderische Geburt 21)
[5] Zitat korrigiert nach: "Der Findling", Piper D 314 f.
[6] Erich Gutkind: "Die Sprache endet, denn siderische Geburt will heute anheben über den stammelnden Zeichen; Erden-Sprache kann uns nicht mehr genügen, wir wollen mehr als Sprache." (Siderische Geburt 29)