Otto III. in der Forschung
Es waren vor allem die kritischen Urteile der Zeitgenossen aus den führenden Kreisen, die das Urteil der Historiker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts prägten. Wilhelm von Giesebrecht begründete das lange Zeit gültige Urteil über Otto III. in seiner Geschichte der deutschen Kaiserzeit. Er kritisierte vor allem das fehlende Nationalbewusstsein und machte Otto den Vorwurf des realitätsfernen Phantastentums. Ferner habe Otto ein großes Erbe leichtfertig verspielt, sei Luft- und Hirngespinsten nachgejagt und habe sich mit Intellektuellen und Ausländern umgeben. Giesebrecht prägte die Auffassung nationalromantischer Historiker für Jahrzehnte.
Nach der Jahrhundertwende wurden sachliche Einwände gegen diese Beurteilung vorgebracht. Dabei prägte Percy Ernst Schramm mit seinem 1929 erschienenen Werk Kaiser, Rom und Renovatio das Bild des Kaisers bis heute maßgeblich. Seine Neubeurteilung war gegenüber der bis dahin üblicherweise vorgenommenen Einordnung des "undeutschen" Kaisers als religiöser, weltfremder Phantast insoweit eine Rehabilitierung, als Schramm den Kaiser erstmals aus den geistigen Strömungen seiner Zeit zu begreifen suchte. Neu war vor allem die geistesgeschichtliche Interpretation der Politik Ottos III., der zufolge der Römische Erneuerungsgedanke die eigentliche politische Antriebskraft des Kaisers gewesen sein sollte. Als zentrales Zeugnis für den römischen Erneuerungsgedanken verwies Schramm auf die Einführung der berühmten Bleibulle seit 998 mit der Devise Renovatio imperii Romanorum.
Robert Holtzmann knüpfte 1941 in seiner Geschichte der sächsischen Kaiserzeit an die Giesebrechtsche Beurteilung an und folgerte: "Der Staat Ottos des Großen krachte in seinen Fugen, als Otto III. starb. Hätte dieser Kaiser länger gelebt, sein Reich wäre auseinandergebrochen". Nach 1945 sind Urteile über Otto in der Schärfe Holtzmanns selten geworden.
Mathilde Uhlirz ergänzte 1954 die Sichtweise Schramms insoweit, als sie die Politik des Kaisers mehr unter dem Aspekt der Herrschaftskonsolidierung im südlichen Reichsteil betrachtete und damit Otto III. die Absicht unterstellte, dort die reale Macht des Kaisertums zu festigen. Uhlirz betonte im Gegensatz zu Schramm den Aspekt der Zusammenarbeit zwischen Kaiser und Papst, dessen Ziel vor allem die Gewinnung Polens und Ungarns für das Christentum römischer Prägung gewesen sei. In der Folgezeit setzte sich eine Kombination der Positionen von Schramm und Uhlirz durch, so dass das Bemühen um eine Herrschaftssicherung im Süden ebenso wie die Neugestaltung der Beziehungen zu Polen und Ungarn als feste Bestandteile der Politik Ottos gewürdigt wurden. Unverändert versuchte man jedoch die Politik Ottos III. aus dem Profil seiner Persönlichkeit heraus zu erklären.
In den letzten Jahren ist Schramms Deutung der renovatio mehrfach kritisiert worden. Nach der vieldiskutierten These von Knut Görich gründe die Rompolitik weniger in einer Rückwendung zur Antike, sondern sei vielmehr unter den Impulsen der monastischen Reformbewegung entstanden. Die Italienpolitik und die Züge nach Rom ließen sich eher aus dem Interesse an der Sicherung des Papsttums und der Restitution entfremdeten Kirchenguts als aus einem römischen Erneuerungsprogramm erklären. Die Devise beziehe sich somit nicht auf ein "Herrschaftsprogramm", sondern auf ein ganz unmittelbar politisches Ziel. Gerd Althoff wendete sich in seiner 1996 veröffentlichten Biografie des Kaisers von politischen Konzeptionen im Mittelalter ab und hielt diese für anachronistisch, da in der mittelalterlichen Königsherrschaft für politische Konzepte mit der Schriftlichkeit und den umsetzenden Institutionen zwei wichtige Voraussetzungen fehlten. Nach Althoff ließen sich konkrete Inhalte eines Herrschaftsprogramms so gut wie nie den Quellen entnehmen, sondern beruhen bloß auf Rückschlüssen aus überlieferten Ereignissen, die durchweg auch schlichterer Deutung fähig seien. Gegen die neueren Tendenzen der Forschung plädierte Heinrich Dormeier für die Beibehaltung der Vorstellung einer Renovatio-Imperii-Romanorum-Konzeption des Kaisers. Die Diskussion um die Renovatio-Politik des Herrschers ist noch nicht abgeschlossen.
Gerd Althoff und Hagen Keller akzentuierten 2008 die Eigenart königlicher Machtausübung im 10. Jahrhundert, "die auf den Säulen Präsenz, Konsens und Repräsentation aufruhte und so das Funktionieren einer Ordnung durchaus gewährleisten konnte". In der Beurteilung des Kaisers sei Zurückhaltung angebracht, "denn mehr als Anfänge waren ihm nicht vergönnt".