[1] Vgl. K. Rahner, Immanente und transzendente Vollendung der Welt, in: Sehr, z. Th. VIII, Einsiedeln 1967, 593-609; G. Greshake, Auferstehung der Toten, aaO. 379 ff.
[2] Um ein einfaches Beispiel zu nennen: Wenn ein Kind fragt, ob sein Hund oder sein Spielzeug, an denen es hängt, auch in den Himmel kommen können, so läßt sich darauf durchaus mit ja antworten, vorausgesetzt eben, daß die Beziehung zu einem Tier oder den Dingen einen Menschen befreit zu größerer Lebensfreude, zu mehr Vertrauen und Hoffnung und Liebe, ja, zu einem sensibleren und sympathischeren Umgang mit unserer Wirklichkeit überhaupt. Dies alles ist keineswegs gleichgültig für das Reich Gottes! Wie der einzelne Mensch dann in seiner Vollendung diese Beziehung zu Tieren oder Pflanzen oder Dingen erfahren wird, bleibt uns jetzt notwendigerweise verborgen. Jedenfalls bildet auch diese Erfahrung eine Facette des unerschöpflichen Reichtums der Liebe Gottes und damit ein Moment der endgültig glückenden und beglückenden Identität des Menschen.
[3] K. Rahner, Zur Theologie des Todes, Freiburg 1958, 21.
[4] G. Greshake, Der Preis der Liebe, Freiburg 1978.
Hoffnung für unsere Erde
von Medard Kehl
Was wird eigentlich aus unserer Erde in der Vollendung des Reiches Gottes, wenn die Vollendung doch nur im Durchgang durch den Tod zu erhoffen ist? Wird sie dann nicht mehr der Lebensraum einer endgültig mit Gott, untereinander und mit der ganzen Schöpfung versöhnten Menschheit sein? Überlassen wir sie gleichgültig sich selbst, z.B. einem unaufhörlichen, ziellosen Weiterlaufen oder auch einem irgendwann stattfindenden katastrophalen Untergang? Wird der "Ort" der Vollendung statt dessen ein ganz und gar unsinnlicher, Geschichte und Erde transzendierender "Himmel" sein, in dem die Toten auf eine ganz neue (mit unserem irdischen Dasein unvergleichbare) Weise leben werden?
Auf der einen Seite gilt es festzuhalten: Sowohl die natürliche wie auch die kulturell und technisch gestaltete Lebenswelt des Menschen ist zur Teilhabe an der Vollendung des Reiches Gottes berufen: "Auch die Schöpfung soll ja von der Sklaverei und der Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes" (Röm 8,21). Anderseits können die nicht-menschlichen Elemente dieser Welt (also z.B. Tiere, Pflanzen, Steine und sonstige Materie oder auch die künstlerischen oder technischen Werke des Menschen) nicht so "in sich" aufgehoben und vollendet werden wie die Menschen selbst; denn sie können sich ja nicht (lebend und sterbend) in Freiheit der Liebe Gottes öffnen und von daher ihre neue, endgültige, Raum und Zeit enthobene Identität geschenkt bekommen.[1]
Wohl aber werden sie in ihrer Bezogenheit auf den Menschen und seinen Dienst am Reich Gottes mit-vollendet. Immer da, wo die "Dinge" dieser Schöpfung von uns in einer menschen- und allen Geschöpfen würdigen Lebenswelt bewahrt bzw. "hineinverwandelt" werden, wo sie also in verantwortlicher "Sympathie" vom Menschen bejaht und auf die verheißene Gestalt des Reiches Gottes hin ausgerichtet werden, da haben sie bereits auf ihre Weise teil an der "Freiheit der Kinder Gottes", eben an ihrem Vertrauen, an ihrer Hoffnung, an ihrer Liebe. Und im Maße dieses Anteilhabens werden auch sie im Geschehen von Tod und Auferstehung mit den Menschen in der vollendeten Gestalt des Reiches Gottes "aufgehoben" sein.[2]
In dieser menschlich vermittelten und verwandelten Weise gelangt unsere Erde im Tod eines jeden Menschen in gewisser Weise an ihr Ende. Aber zugleich erreicht sie auch in jedem Menschen, der am Auferstehungsleben Jesu teilbekommt, ihre Vollendung. Diese brauchen wir uns also nicht als ein blitzartiges Geschehen irgendwann an einem möglichen Ende dieser Weltgeschichte vorzustellen, sondern eher als einen ständigen Prozeß: "Die geschaffene Gesamtwirklichkeit, die Welt, wächst in und durch die leibgeistigen Personen, deren Leib sie gewissermaßen ist, durch deren Tod langsam in ihre Endgültigkeit hinein."[3]
Aber noch einmal gefragt: Ist diese im Tod mit-vollendete "Leiblichkeit" unserer Erde nicht doch zu dünn und spirituell, weil ja von der empirisch erfahrbaren Materialität, also von dem, was unsere Sinne wahrnehmen und betasten können, nichts "in sich" in die Vollendung aufgenommen wird, sondern nur in einer Gestalt, die sie als menschlich angeeignete Teilhabe an der personalen Vollendung des Menschen erhält? Und das ist ja offensichtlich eine sehr "geistige", jedenfalls für unsere (jetzigen) Sinne nicht erfahrbare Gestalt. Wird hier nicht doch zuviel an "Sinnlichkeit" und dem ihr zukommenden Anteil an arbeitend-schöpferischer Weltgestaltung, an menschlicher Ästhetik und Erotik preisgegeben, so daß die Vollendung unserer Geschichte und unserer Welt ziemlich blaß, im Grunde eben doch "platonisch" erscheint?
Man kann darauf zunächst mit einer Gegenfrage antworten: Warum soll überhaupt die materielle Wirklichkeit auch "in sich" vollendet werden? Worin findet sie denn ihren Sinn und ihr Ziel? Als von Gott geschaffene Wirklichkeit ist doch die ganze materielle Schöpfung letztlich nur daraufhin angelegt, daß in ihr ein Geschöpf freigesetzt wird, das zur freien Antwort auf das Geschenk der Liebe Gottes fähig ist. Ohne diese Sinnspitze hätte eine Schöpfung durch die unendliche Liebe Gottes, die in sich alle Fülle der Wirklichkeit enthält, doch kaum einen verstehbaren Sinn.
Daß diese Liebe Gottes (die ja für unsere Begriffe eine "geistige", nicht unmittelbar sinnlich wahrzunehmende Wirklichkeit ist) dennoch neben sich eine Wirklichkeit schafft, die auf endliche Weise an ihrer Liebe partizipiert und dadurch überhaupt erst ihr Dasein erhält, kann doch kaum sinnvoll damit erklärt werden, daß diese Liebe Gottes sich eben auch an endlich-materieller Wirklichkeit "erfreuen" wolle, ganz unabhängig davon, ob diese zu einer personalen, freien Antwort auf die Liebe Gottes fähig ist oder sein wird.
Das unermeßliche Leid z.B., das mit der Schöpfung endlicher Wirklichkeit als möglich mitgesetzt wird und das ständig die Frage provoziert, warum es überhaupt eine Schöpfung gebe und nicht vielmehr nichts, kann doch nur dann einigermaßen überzeugend mit dem schöpferischen Handeln Gottes in Einklang gebracht werden, wenn es als "Preis der Liebe" gedeutet wird[4]; eben als Preis jener Liebe, zu der Gott seine endliche Schöpfung befähigen möchte, um mit ihr einen beiderseits freien "Bund" einzugehen.
Insofern nun auch die materielle Welt daraufhin ausgerichtet ist und im Menschen ihre "Bundesfähigkeit" mit Gott erreicht, hat sie genau darin ihren Sinn erreicht. Und in dem Maße, wie sie vom Menschen in seine freie Antwort auf Gottes Liebe hinein integriert ist, wie sie teilhat an der "Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes" (Röm 8,21) und so zum humanisierten "Leib" des Menschen geworden ist, in dem Maße ist sie auch endgültig vollendbar.
Und dennoch: Muß diese Vollendung nicht doch etwas "leiblicher" und "sinnlicher" als oben dargestellt werden, wenn wir im Glauben so betont an der "Auferstehung des Leibes" festhalten? Ist der Unterschied zu der vielgeschmähten platonischen "Unsterblichkeit der Seele" nicht doch zu gering?
Das mag sein; die Frage ist nur: Wie soll die Vollendung des "materiellen" Leibes (des Menschen und der Erde überhaupt) in einem stimmigen Zusammenhang mit anderen theologischen Aussagen gedacht werden, wenn wir uns nicht einfach auf die apokalyptischen Bilder und ihre z.T. eben doch mythologischen Vorstellungen beschränken wollen (z. B. daß auf der neu geschaffenen, vollendeten Erde die auferweckten Toten und die irdisch Lebenden auf gleicher Erfahrungsebene miteinander umgehen u.a.)?
Die Schwierigkeit liegt darin: Einerseits glauben wir, daß Jesus Christus bereits von den Toten "leibhaftig" auferstanden ist und als solcher "mitten unter uns" lebt (was ja analog auch im Dogma von der leibhaftig in den Himmel aufgenommenen Mutter Gottes ausgesagt wird). Anderseits aber sehen oder hören oder betasten wir von seinem "Auferstehungsleib" absolut nichts mit unserem materiell-sinnlichen Wahrnehmungsvermögen (was wir auch nicht unbedingt von den "Erscheinungen" vor den Jüngern und den Frauen anzunehmen brauchen).
Er nimmt als solcher keinen "Ort" in unserer materiellen Welt ein - es sei denn auf sakramental-realsymbolische Weise: in der Gemeinschaft der an ihn Glaubenden, in seinem verkündeten Wort, in den Zeichen seiner heilenden Gegenwart, besonders im Zeichen des gewandelten Brotes und Weines. Allein in solcher vermittelten Weise können wir den auferstandenen Christus wahrnehmen; die "Leiblichkeit" des Auferstandenen "in sich" (also außerhalb der sakramentalen Vermittlung) bleibt uns jetzt völlig verborgen.
Wenn es also eine Teilhabe der Verstorbenen samt ihres Leibes und ihrer Welt am Auferstehungsleben Jesu Christi gibt, dann wird sie doch wohl auch keine grundsätzlich andere, in unserer empirisch-materiell strukturierten Welt wahrnehmbare Gestalt annehmen als die des auferstandenen Christus.
Deswegen bleibt jedes Sprechen von einer "verwandelten", "verklärten" Leiblichkeit und Sinnlichkeit oder von einer "neuen Erde", die auch die Materie miteinschließt, oder von einem "pneumatischen Realismus" des Auferstehungsleibes (J. Ratzinger) letztlich genauso "unsinnlich" und "unanschaulich" wie die oben dargelegte Vollendung des Menschen und seiner Erde. Eine in unserer jetzigen materiellen Erfahrungsstruktur wahrnehmbare Vollendung der Erde als einer materiellen Wirklichkeit, die "in sich" auch endgültig "aufgehoben" bleibt, ist von daher nicht anzunehmen.
Eine andere, die jetzige Empirie vollkommen transzendierende Leiblichkeit und Materialität unserer Erde zu erhoffen, ist vom Glauben an die Auferstehung des Leibes her gut begründet. Nur scheint da kein großer Unterschied zu dem oben skizzierten Denkmodell leiblicher Vollendung zu bestehen, die in Gestalt einer ganz in die menschliche Freiheit einbezogenen und dadurch endgültig "aufgehobenen" Materialität vorgestellt wird.
Entscheidend dafür, daß wir in unserer Eschatologie nicht in einen gnostischen Spiritualismus verfallen, bleibt, daß die Hoffnung auf die Auferstehung des Leibes uns jetzt unbedingt der Geschichte auf unserer Erde verpflichtet: Sie soll als die "Materie" des Reiches Gottes von uns mit dem Geist des Auferstandenen durchformt werden, weil sie als eine und ganze zum Heil der "versöhnten Schöpfung" berufen ist. Die Treue zu diesem Auftrag bildet die unübersteigbare Grenze, die die christliche Hoffnung von der Gnosis scheidet. Wie wir uns die Vollendung unserer Erde konkret vorzustellen haben, ist demgegenüber zweitrangig.
Die biblischen Bilder von der "Stadt Gottes", vom "himmlischen Jerusalem", vom "ewigen Hochzeitsmahl", vom "neuen Himmel und der neuen Erde" behalten in jedem Fall ihre unersetzbare Gültigkeit. Bringen sie doch auf bildlich-symbolhafte Weise zum Ausdruck, daß unser Vertrauen auf die endgültig rettende Treue Gottes die ganze Schöpfung miteinschließt; ein Vertrauen also, das sich in der liebenden Verantwortung für alle Geschöpfe dieser Erde bewährt.
Aus: Medard Kehl, Eschatologie, Würzburg: Echter 1986, S. 240-244.