Erntedank - Lebensdank
von Peter Godzik
"Danket dem Herrn; denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich." So beten wir oft, wenn wir unser tägliches Brot zu uns nehmen. Wir danken damit für die Lebensgrundlagen, die uns auch heute noch in einer technisch veränderten Welt aus dem Wachstum der Pflanzen und der Aufzucht der Tiere zuwachsen. Das Erntedankfest einmal im Jahr erinnert uns an die Gaben Gottes in der Natur, die wir pflegen, vermehren, verändern, um so vielen Menschen auf der Erde die Lebensgrundlagen zu erhalten.
Das Erntedankfest ist uns Anlaß, zu danken für die uns anvertrauten Gaben. Es gibt auch Gelegenheit, nachzudenken über menschliche Eingriffe und Übertreibungen, die Gottes gute Gaben gefährden und um eines kurzfristigen Vorteils willen langfristige Schäden verursachen. Danken hat auch mit Denken zu tun und sollte uns zu klugen Anwendern unserer vielfältigen Möglichkeiten machen.
Denn längst sind wir zu Mitschöpfern in Gottes großem Schöpfungswerk geworden - unvernünftige manchmal und an Profit orientierte, aber auch nachdenkliche und Rücksicht nehmende, die mit ihrer Art zu leben, zu arbeiten und zu essen andere und auch sich selbst nicht dauerhaft gefährden wollen.
"Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht." So lesen wir im Matthäus-Evangelium im 4. Kapitel. Erntedank erweitert sich so zum Lebensdank für Begleitung und Bewahrung aus göttlicher Kraft und himmlischem Segen.
Der 107. Psalm erinnert uns daran, wofür wir zu danken haben in unserem Leben.
Danket dem Herrn; denn er ist freundlich,
und seine Güte währet ewiglich.
So sollen sagen, die erlöst sind durch den Herrn,
die er aus den Ländern zusammengebracht hat
von Osten und Westen, von Norden und Süden.
Die irre gingen in der Wüste, auf ungebahntem Wege,
und fanden keine Stadt, in der sie wohnen konnten,
die hungrig und durstig waren
und deren Seele verschmachtete,
die dann zum Herrn riefen in ihrer Not,
und er errettete sie aus ihren Ängsten
und führte sie den richtigen Weg,
dass sie kamen zur Stadt, in der sie wohnen konnten:
Die sollen dem Herrn danken für seine Güte und für seine Wunder,
die er an den Menschenkindern tut,
dass er sättigt die durstige Seele
und die Hungrigen füllt mit Gutem.
Fünfzig Jahre nach Kriegsende feiern wir Erntedank in Schleswig auch unter diesem Vorzeichen: Wir haben herausfinden dürfen aus der Not, Heimat gefunden in einer Stadt und sind mit äußeren Gütern reich beschenkt worden. Es herrscht Friede und Wohlstand unter uns. Wir können fragen nach dem, was uns innerlich anfüllt und satt macht und müssen auch in dieser Hinsicht nicht darben.
Gott schenkt uns sein Wort und Sakrament, Gemeinschaft untereinander und einen Klang, der unsere Seele erreicht. Wir werden begleitet von heilenden Kräften, die uns aufwachsen lassen durch Kindheit und Jugend, die uns Halt und Orientierung geben im Erwachsenenleben und die uns trösten und zuversichtlich werden lassen im Alter. Gott hört nicht auf, Leben zu schenken. Er trägt uns sogar über die Schwelle des Todes in sein Licht.
Erntedank - Lebensdank: Das könnte uns befreien aus ängstlicher Selbstbezogenheit, aus Krisenbewusstsein und Weltuntergangsstimmung. Es ist wahr - wir vergehen. Aber Gott geht mit uns und hält uns. Und er gibt uns die Kraft, empfangene Liebe an andere weiterzugeben. Es gibt noch so viele ungelöste Probleme: Krieg und Vertreibung, Hunger und Elend, Ungerechtigkeit und Ausbeutung. Wir Menschen fügen uns aus Blindheit, Selbstgerechtigkeit und Fanatismus viel Übles zu. Wir kämpfen um unser vermeintliches Recht und nehmen dabei doch Schaden an unserer Seele.
Erntedank - Lebensdank: Das könnte uns frei machen zu einem schenkenden Leben. Christus hat so gelebt unter uns. Er nahm das Brot, dankte und brach's und gab's seinen Jüngern und sprach: "Nehmet hin und esset. Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird." Für euch gegeben - so gibt sich uns Gott hin in Schöpfung, Erlösung und Heiligung. Wir nehmen das an und antworten darauf mit unserem Dank.
Erntedank - Lebensdank. Nur im hingebungsvollen Leben entdecken wir das Geheimnis bleibender Liebe.
In: Dom-Informationen, Oktober 1995