Aus Luthers Sermon von der Bereitung zum Sterben, 1519
Zum ersten. Weil der Tod ein Abschied ist von dieser Welt und all ihrem Treiben, ist es nötig, daß der Mensch sein zeitlich Gut ordentlich verteile, wie es sein muß oder wie er es anzuordnen gedenkt, damit nicht bleibe nach seinem Tod Ursache für Zank, Hader oder sonst einen Irrtum unter seinen zurückgelassenen Freunden. Und dies ist ein leiblicher oder äußerlicher Abschied von dieser Welt, und es wird Lebewohl und Abschied gegeben dem Gut.
Zum zweiten, daß man auch geistlich Abschied nehme. Man vergebe freundlich, rein um Gottes willen allen Menschen, die uns beleidigt haben, begehre umgekehrt auch allein um Gottes willen Vergebung von allen Menschen, deren wir viele ohne Zweifel beleidigt haben, zumindest mit bösem Exempel oder zuwenig Wohltaten, wie wir schuldig gewesen wären nach dem gebot brüderlicher christlicher Liebe, damit die Seele nicht bleibe behaftet mit irgendeiner Angelegenheit auf Erden.
Zum dritten. Wenn so jedermann Abschied auf Erden gegeben ist, dann soll man sich allein zu Gott richten, wohin der Weg des Sterbens sich auch kehrt und uns führt. Und hier beginnt die enge Pforte, der schmale Steig zum Leben. Darauf muß sich ein jeder getrost gefaßt machen. Denn er ist wohl sehr eng, er ist aber nicht lang. Und es geht hier zu, wie wenn ein Kind aus der kleinen Wohnung in seiner Mutter Leib mit Gefahr und Ängsten geboren wird in diesen weiten Himmel und Erde, das ist unsere Welt: ebenso geht der Mensch durch die enge Pforte des Todes aus diesem Leben. Und obwohl der Himmel und die Welt, darin wir jetzt leben, als groß und weit angesehen werden, so ist es doch alles gegen den zukünftigen Himmel so viel enger und kleiner, wie es der Mutter Leib gegen diesen Himmel ist. Darum heißt der lieben Heiligen Sterben eine neue Geburt, und ihre Feste nennt man lateinisch Natale, Tag ihrer Geburt. Aber der enge Gang des Todes macht, daß uns dies Leben weit und jenes eng dünkt. Darum muß man das glauben und an der leiblichen Geburt eines Kindes lernen, wie Christus sagt: "Ein Weib, wenn es gebiert, so leidet es Angst. Wenn sie aber genesen ist, so gedenkt sie der Angst nimmer, dieweil ein Mensch geboren ist von ihr in die Welt." (Joh. 16,21) So muß man sich auch im Sterben auf die Angst gefaßt machen und wissen, daß danach ein großer Raum und Freude sein wird.
Zum vierten. Solches Zurichten ... auf diese Fahrt besteht zum ersten darin, daß man sich mit lauterer Beichte ... und den heiligen christlichen Sakramenten des heiligen wahren Leibes Christi und der Ölung versorge, sie andächtig begehre und mit großer Zuversicht empfange, wenn man sie haben kann. Wenn aber nicht, soll nichtsdestoweniger das Verlangen und Begehren derselben tröstlich sein...
Zum fünften soll man ja zusehen..., daß man die heiligen Sakramente hoch achte, sie in Ehren halte, sich frei und getrost darauf verlasse und sie gegen Sünde, Tod und Hölle so in die Waagschale werfe, daß sie weit darüber ausschlagen, und daß man viel mehr mit den Sakramenten und ihren Kräften sich befasse als mit den Sünden... In Ehren halten heißt, daß ich glaube, es sei wahr und geschehe mir, was die Sakramente bedeuten...
Zum sechsten. Um die Kräfte der Sakramente zu erkennen, muß man zuvor wissen die Gegenkräfte, gegen die sie fechten und gegeben sind. Deren sind drei: die erste das erschreckende Bild des Todes, die andere das grauenhafte, mannigfaltige Bild der Sünde, die dritte das unerträgliche und unausweichliche Bild der Hölle und ewiger Verdammnis. Nun wächst jedes von diesen dreien und wird groß und stark aus seinen Zusätzen. Der Tod wird groß und erschreckend dadurch, daß die schwache, verzagte Natur dies Bild zu tief in sich hineinbildet, es zu sehr vor Augen hat... Denn je tiefer der Tod betrachtet, angesehen und erkannt wird, desto schwerer und gefährlicher das Sterben ist. Im Leben sollte man sich mit des Todes Gedanken üben und sie zu uns fordern, wenn er noch fern ist und einen nicht in die Enge treibt. Aber im Sterben, wenn er von selbst schon allzu stark da ist, ist es gefährlich und nichts nütze...
Zum siebenten. Die Sünde wächst auch und wird groß dadurch, daß man sie zu viel ansieht und zu tief bedenkt... Denn die Sünde betrachten hat dort weder Recht noch Zeit, das soll man in der Zeit des Lebens tun... Im Tode, da wir sollten nur Leben, Gnade und Seligkeit vor Augen haben...
Zum achten. Die Hölle wird auch groß und wächst dadurch, daß man sie zur Unzeit zu viel ansieht und zu schwer bedenkt... Das heißt mit der Hölle angefochten, wenn der Mensch mit Gedanken seiner Erwählung angefochten wird... Wer hier gewinnt, der hat Hölle, Sünde, Tod auf einem Haufen überwunden.
Zum neunten. Nun muß man in dieser Sache allen Fleiß darauf verwenden, daß man von diesen drei Bildern keins ins Haus lade noch den Teufel über die Tür male... Die Kunst ist's ganz und gar, sie fallenzulassen und nichts mit ihnen zu schaffen zu haben... Du mußt den Tod in dem Leben, die Sünde in der Gnade, die Hölle im Himmel ansehen ... Wie soll man dem entsprechen?
Zum zehnten. Du mußt den Tod nicht in ihm selbst noch in dir ... noch in denen, die durch Gottes Zorn getötet sind, die der Tod überwunden hat, ansehen oder betrachten ... Sondern du mußt ... den Tod stark und beharrlich ansehen nur in denen, die in Gottes Gnade gestorben sind und den Tod überwunden haben, vornehmlich in Christus, danach in allen seinen Heiligen ... Sieh, in diesen Bildern wird dir der Tod ... getötet und im Leben erwürgt und überwunden. Denn Christus ist nichts als lauter Leben, seine Heiligen auch.
Zum elften. Ebenso darfst du die Sünde nicht ansehen in den Sündern noch in deinem Gewissen noch in denen, die in den Sünden schließlich geblieben und verdammt sind... Sondern du mußt abkehren deine Gedanken und die Sünde nicht anders als in der Gnade Bild ansehen und dies Bild mit aller Kraft in dich hineinbilden und vor Augen haben. Der Gnade Bild ist nichts anderes als Christus am Kreuz und alle seine lieben Heiligen... So ist Christus, des Lebens und der Gnade Bild, wider des Todes und der Sünde Bild unser Trost...
Zum zwölften darfst du die Hölle und die Ewigkeit der Pein samt der Verwerfung nicht in dir, nicht in ihr selbst, nicht in denen, die verdammt sind, ansehen, auch dich nicht bekümmern mit so vielen Menschen in der ganzen Welt, die nicht erwählt sind... Darum sieh das himmlische Bild Christus an, der um deinetwillen zur Hölle gefahren und von Gott ist verlassen gewesen als einer, der verdammt sei ewiglich... Sieh, in dem Bild ist überwunden deine Hölle und deine ungewisse Erwählung gewiß gemacht... Darum laß dir's nur nicht aus den Augen nehmen und suche dich nur in Christus und nicht in dir, so wirst du dich auf ewig in ihm finden.
Zum dreizehnten. So fliehen Tod, Sünde und Hölle mit allen ihren Kräften, wenn wir nur Christi und seiner Heiligen leuchtende Bilder in uns beharrlich anwenden in der Nacht, das ist im Glauben, der die bösen Bilder nicht sieht noch sehen will... Am Kreuz ... hat er (Christus) uns sich selbst bereitet als ein dreifältiges Bild, unserm Glauben vor Augen zu halten wider die drei Bilder, mit denen der böse Geist und unsere Natur uns anfechten, um uns aus dem Glauben zu reißen. Er ist das lebendige und unsterbliche Bild wider den Tod ... Er ist das Bild der Gnade Gottes wider die Sünde ... Er ist das himmlische Bild ...
Zum vierzehnten. Er (Christus) ist ebenso angefochten worden mit des Todes, der Sünde, der Hölle Bild wie wir. Des Todes Bild hielten sie ihm vor Augen ... Der Sünde Bild hielten sie ihm vor ... Der Hölle Bild trieben sie zu ihm ... Wie wir nun sehen, daß Christus zu all den Worten und gräulichen Bildern still schweigt, nicht mit ihnen ficht, tut, als höre und sehe er sie nicht, beantwortet keins ..., sondern allein auf den liebsten Willen seines Vaters acht hatte ...: So sollen wir diese Bilder auch lassen herfallen und abfallen, wie sie wollen oder mögen, und nur daran denken, daß wir an dem Willen Gottes hängen, der ist, daß wir in Christus haften und fest glauben, unser Tod, unsere Sünde und Hölle sei uns in ihm überwunden und könne uns nicht schaden, damit Christi Bild allein in uns sei ...
Zum fünfzehnten. Nun kommen wir wieder zu den heiligen Sakramenten und ihren Kräften, damit wir lernen, wozu sie gut sind und wozu sie zu gebrauchen. Wem nun die Gnade und Zeit verliehen sind, daß er beichtet, absolviert wird, mit dem Abendmahl und der letzten Ölung versehen wird, der hat gewiß große Ursache, Gott zu lieben, zu loben und ihm zu danken und zu sterben, wenn er sich nur getrost im Glauben verläßt auf die Sakramente ... In den Sakramenten handelt, redet, wirkt durch den Priester dein Gott Christus selbst mit dir, und es geschehen da nicht Menschenwerke oder -worte. Da verspricht dir Gott selbst alle Dinge, die jetzt von Christus gesagt sind, und will, daß die Sakramente ein Wahrzeichen und eine Urkunde seien ... Darüber hinaus wirst du durch diese Sakramente eingeleibt und vereinigt mit allen Heiligen und kommst in die rechte Gemeinschaft der Heiligen. Gott hat mir zugesagt und ein sicheres Zeichen seiner Gnade in den Sakramenten gegeben, daß Christi Leben meinen Tod in seinem Tod überwunden habe, sein Gehorsam meine Sünde in seinem Leiden vertilgt, seine Liebe meine Hölle in seinem Verlassensein zerstört habe ... Gott hat es gesagt, Gott kann nicht lügen, weder mit Worten noch mit Werken ...
Zum sechzehnten. Hierauf kommt es nun am allermeisten an: daß man die heiligen Sakramente ... hoch achte, in Ehren halte, sich auf sie verlasse, das ist, daß man weder an den Sakramenten noch an den Dingen, deren sichere Zeichen sie sind, zweifele. Denn wenn daran gezweifelt wird, so ist alles verloren. Denn wie wir glauben, so wird uns geschehen ... Deshalb ist nicht zu scherzen mit den Sakramenten. Es muß der Glaube da sein, der sich auf sie verlasse und es getrost wage auf solche Gotteszeichen und Zusagen hin... Laß dich Würdigkeit, Unwürdigkeit nicht anfechten, schau nur zu, daß du glaubst ... Glaube macht würdig, Zweifel macht unwürdig ... Gott ... baut ... sein Wort und Sakrament auf deine Würdigkeit nicht, sondern aus lauter Gnade baut er dich Unwürdigen auf sein Wort und Zeichen ... Hat mich der Priester absolviert, so verlasse ich mich darauf als auf Gottes Wort selber ... Du sollst ebenso fest trauen auf des Priesters Absolution, als ob dir Gott einen besonderen Engel oder Apostel sendet, ja, als ob dich Christus selbst absolvierte.
Zum siebzehnten. Sieh, einen solchen Vorteil hat, wer die Sakramente erlangt, daß er ein Zeichen Gottes erlangt und eine Zusage, an der er seinen Glauben üben und stärken kann, er sei in Christi Bild und Güter berufen. Ohne diese Zeichen mühen sich die anderen nur im Glauben ab und erlangen sie nur mit der Begierde des Herzens, wenngleich sie auch erhalten werden, wenn sie in diesem Glauben bleiben ... Hat mir der Priester gegeben den heiligen Leib Christi, was ein Zeichen und Zusage ist der Gemeinschaft aller Engel und Heiligen, daß sie mich lieb haben, für mich sorgen, bitten und mit mir leiden, sterben, Sünde tragen und Hölle überwinden, so wird und muß es sein ... Was hülfen alle Zeichen ohne Glauben? ... So sollten wir die Sakramente lernen erkennen ..., daß kein größeres Ding auf Erden sei, das betrübte Herzen und böse Gewissen lieblicher trösten kann ... Der (rechte) Gebrauch ist nichts anderes als glauben, es sei so, wie die Sakramente durch Gottes Wort zusagen und versichern. Darum ist es nötig, daß man nicht allein die drei Bilder in Christus ansehe und die Gegenbilder damit austreibe und fallen lasse, sondern daß man ein gewisses Zeichen habe, das uns versichere, es sei auch uns gegeben. Das sind die Sakramente.
Zum achtzehnten soll kein Christenmensch an seinem Ende daran zweifeln, daß er nicht allein sei in seinem Sterben. Sondern er soll gewiß sein, daß nach der Aussage des Sakraments auf ihn gar viele Augen sehen. Zum ersten Gottes selber und Christi, weil er seinem Wort glaubt und seinem Sakrament anhängt; danach die lieben Engel, die Heiligen und alle Christen ... Wenn aber Gott auf dich sieht, so sehen ihm nach alle Engel, alle Heiligen, alle Kreaturen; und wenn du in dem Glauben bleibst, so halten sie alle die Hände unter. Geht deine Seele aus, so sind sie da und empfangen sie, du kannst nicht untergehen ... Darum soll man wissen, daß das Gottes Werke sind, die größer sind, als jemand denken kann, und die er doch wirkt in solchem kleinen Zeichen der Sakramente, damit er uns lehre, wie ein großes Ding sei ein rechter Glaube an Gott.
Zum neunzehnten. Jeder soll Gott demütig bitten, daß er solchen Glauben und solches Verständnis seiner heiligen Sakramente in uns schaffe und erhalte ... Außerdem soll er alle heiligen Engel, besonders seinen Schutzengel, die Mutter Gottes, alle Apostel und lieben Heiligen anrufen, vor allem die, zu denen Gott ihm besondere Andacht gegeben hat. Er soll aber so bitten, daß er nicht zweifle, das Gebet werde erhört ... Auch sollte man das ganze Leben lang Gott und seine Heiligen bitten für die letzte Stunde um einen rechten Glauben ...
Zum zwanzigsten. Nun sieh, was soll dir dein Gott mehr tun, damit du den Tod willig annehmest, nicht fürchtest und überwindest? Er zeigt und gibt dir in Christus des Lebens, der Gnade, der Seligkeit Bild, damit du vor des Todes, der Sünde, der Hölle Bild dich nicht entsetzest. Er legt zudem deinen Tod, deine Sünde, deine Hölle auf seinen liebsten Sohn und überwindet sie dir, macht sie dir unschädlich. Er läßt zudem deine Anfechtung des Todes, der Sünde, der Hölle auch über seinen Sohn gehen und lehrt, dich darin zu halten, und macht sie unschädlich, zudem erträglich. Er gibt dir für das alles ein gewisses Wahrzeichen, damit du ja nicht daran zweifelst, nämlich die heiligen Sakramente. Er befiehlt seinen Engeln, allen Heiligen, allen Kreaturen, daß sie mit ihm auf dich sehen, deiner Seele wahrnehmen und sie empfangen. Er gebietet, du sollst dies von ihm erbitten und der Erhörung gewiß sein. Deshalb muß man ... sich nicht so sehr vor dem Tod fürchten, sondern nur seine Gnade preisen und lieben. Denn die Liebe und das Lob erleichtern das Sterben gar sehr ... Dazu helfe uns Gott. Amen.
Auszüge aus: Martin Luther, Ein Sermon von der Bereitung zum Sterben (1519), abgedruckt in: Karin Bornkamm/ Gerhard Ebeling (Hrsg.), Martin Luther. Ausgewählte Schriften in sechs Bänden, Band 2, Frankfurt: Insel 1982, S. 15-34