Wiederentdecktes Leben
Lukas 13,1-9: Gedanken zur Bußtagspredigt 1979
Ein bedrohlicher Anfang: "Wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen."
Angesichts der Weltverhältnisse neigen wir alle zu der pharisäerhaften Haltung: Lieber Gott, ich danke dir, daß es mir nicht so schlecht geht wie den vielen Armen in dieser Welt.
Für diese hoffnungslose Einteilung in arm und reich haben wir meist auch eine Erklärung parat: Die haben doch selber schuld, die sollen doch erst mal ihre heiligen Kühe schlachten und lernen, besser zu wirtschaften und vor allem fleißiger zu sein. Wir haben schließlich auch ganz unten angefangen und haben es durch unserer Hände Fleiß wieder so weit gebracht.
Die Argumentationskette läuft wie in der Geschichte vom Untergang der Galiläer und vom Turm zu Siloah: Das Unglück ist allein Sache der Opfer. Sie haben selber schuld. Wie gut, daß wir nicht davon betroffen sind!
Jesus widerspricht diesem Denken aufs schärfste: Meint ihr etwa, daß die Menschen, die solches Unglück trifft, schuldiger sind als all die anderen? Ich sage euch: Nein. Und wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr genauso umkommen.
Jesus stellt den Zusammenhang wieder her und macht klar, daß wir in einer Welt leben. Niemand darf sich darüber freuen, daß es in seinem Zimmer ordentlich aussieht, während die anderen Zimmer im Welthaus verfallen.
Wenn wir nicht Buße tun, d. h. umkehren und anders leben, uns kümmern um das Elend und die Ungerechtigkeit in dieser Welt, dann werden wir alle umkommen. Es wird eine Welt sein oder keine.
Ein versöhnlicher Schluß: "Herr, laß ihn noch dies Jahr"
Dieser Zusammenhang, das Aufeinanderangewiesensein und Teilen des gleichen Lebensschicksals mag uns erschrecken. Aber der Satz:
Wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen, ist nicht das letzte Wort Jesu in dieser Sache. Anders als Johannes der Täufer, für den die Axt schon den Bäumen an die Wurzel gelegt ist, erzählt Jesus eine Hoffnungsgeschichte: das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum. Gott hat (immer noch) Geduld mit uns.
Nur sollten wir uns nicht auf billige Weise damit beruhigen. Auch der geduldigste Gärtner hat seine Grenze: "Wo nicht, so haue ihn ab."
Aber im Grunde genommen geht es Jesus bei aller Schärfe und Klarheit der Worte darum, daß wir alle das Leben wählen: ohne (tödlich endende) Schadenfreude über das Unglück der anderen und ohne (tödlich endende) Ungeduld über das Versagen der eigenen Kräfte. Es geht nicht darum, Schuld oder Schuldige zu finden, sondern geduldig zu graben und zu düngen, auf daß Frucht wachse am Baum unseres Lebens.
Alles Große fängt klein an: wie eine kleine Pflanze hervorsprießt aus einer Handvoll Erde. BROT FÜR DIE WELT - den Frieden entwickeln, das Leben wiederentdecken.
Lieder: Komm, bau ein Haus, das uns beschützt, Brich mit den Hungrigen dein Brot, Selig seid ihr, wenn ihr einfach lebt
Peter Godzik
Abgedruckt in: Diakonisches Werk Schleswig-Holstein (Hg.), Die Erde ist für alle da. Predigten - Andachten - Meditationen, Rendsburg: DW-SH 1979, S. 7.