Bericht über die Reise nach Siebenbürgen im März 2001
von Peter Godzik
Begleitet von Menschen mit langjähriger Hilfstransporterfahrung (Frau Goebel, Pastorenehepaar Helms, Pastor Bruhn, Herr Meike) haben Pastor Kretzmann (Mustin) und ich zum ersten Mal Siebenbürgen besucht. In drei Tagen fuhren wir sieben Mitfahrende drei Kleinbusse beladen mit Hilfsgütern aller Art über Niederaltaich (Bayern) und Szarvas (Ungarn) nach Hermannstadt (Rumänien). Wir blieben vier volle Tage dort und übernachteten in einer Gästewohnung des Bezirkskonsistoriums.
Am ersten Tag wurden wir sehr freundlich von Bischof Christoph Klein empfangen, besuchten das Luther-Spital und den evangelischen Kindergarten, wir schauten uns Hermannstadt an und waren abends beim Dekan der Theologischen Fakultät Prof. Hans Klein eingeladen.
Am zweiten Tag besuchten wir den Diakonieverein in Alba Julia mit seinen verschiedenen Einrichtungen unter der Leitung von Pfarrer Gerhard Wagner, der uns voller Stolz auch die gerade renovierte Kirche "Zum guten Hirten" zeigte. Am späten Nachmittag sahen wir das Altenheim in Scholten und sprachen dort mit Bewohnerinnen und Bewohnern, begleitet vom freundlichen rumänischen Leiterehepaar. Abends waren wir dann bei Prof. Pitters eingeladen.
Der dritte Tag war einer durch wunderschöne Landschaften am Rande der Südkarpaten führenden Besuchsreise zu den Kirchenkuratoren in Martinsberg, Gürteln, Braller und Girlsau gewidmet, begleitet vom Bezirkskurator Prof. Friedrich Philippi.
Am vierten Tag, dem Sonntag Laetare, predigte ich dreimal in den Gottesdiensten von Dechant Reinhart Guib: in Mediasch, Marktschelken und Petersdorf. Nach einer Autopanne, die uns auf der Rückfahrt von Petersdorf anderthalb Stunden in Marktschelken kurz vor dem Bahnübergang festhielt, verbrachte ich noch einige Stunden bei der Dechantenfamilie in Mediasch.
Nach der von mir gehaltenen Morgenandacht im Konsistorium der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien brachen wir am Montagvormittag zur dreitägigen Rückreise auf, die uns über Zwischenstationen in Kecskemet (Ungarn) und Niederaltaich (Bayern) wieder nach Ratzeburg führte. Wohlbehalten und ein wenig erschöpft von den vielen Eindrücken und Reisestrapazen trafen wir am Abend des zehnten Tages zu Hause ein.
Es ist nicht leicht, die verschiedenen Reiseeindrücke in Worte zu fassen, weil ich mich zum ersten Mal mit Geschichte und Gegenwart der Siebenbürger Sachsen auseinander zu setzen hatte. Grenzerfahrungen waren zu bestehen im wahrsten Sinne des Wortes: stark befahrene Autobahnen, schlechter werdende Straßen mit erheblichem Transitverkehr in Rumänien, Wartezeiten an der Grenze mit aufwendigen und nicht immer gleich durchschaubaren Zollkontrollen, vorbeihuschende Dörfer mit zunehmend ärmlicher werdenden Lebensverhältnissen, eine großartige Landschaft mit Bergen und weiten Ebenen.
In Hermannstadt selber und den umliegenden Städten und Dörfern des Siebenbürger Landes begegnete mir die glanzvolle Geschichte der Sachsen, die nun einem so schwierigen Ende und Neubeginn zustrebt. Restaurierte aber auch verfallende und längst schon verfallene Kirchenburgen, Hofanlagen, Wohnhäuser und Schulgebäude. Zu viele Sachsen sind gegangen, es bleiben viele alte, kranke, behinderte und unbeweglich gewordene Menschen zurück. Sie müssen besucht und begleitet, gestützt und gefördert werden.
Auf die wenigen jungen Leute in der Kirche kommt eine große und belastende Aufgabe zu. Sie können nicht immer nur geben und verstehen, sie müssen auch selber auftanken und Kraft gewinnen, um ihre schwere Aufgabe zu tun. Wer begleitet und unterstützt sie? Reicht die Kraft der Theologie, der Kirchenleitung, die Herausforderung der jeweiligen Situation zu bestehen? Oft fehlt es an Menschen, die geduldig den Karren weiterziehen, der ins Schlingern und Rutschen geraten ist. Noch immer wandern die Tüchtigen aus, werden abgeworben, lassen die Dagebliebenen mit der Fülle der Aufgaben allein.
Es gibt auch die ersten, die zurückkehren in ihre geliebte Siebenbürger Heimat. Aber wenn sie eine deutsche Rente beziehen oder als deutsche Entsandtkräfte entlohnt werden, dann brechen neue Fragen und Ungerechtigkeiten auf. Viele verkraften die Anspannungen des täglichen Lebens in einer auf den ersten Blick eher dem Abbruch als dem Aufbau gewidmeten Situation nicht. Sie stehen in der Gefahr, dem Land und den verbliebenen Landsleuten den Rücken zu kehren und in Deutschland oder im sonstigen westlichen Ausland ihr Glück zu versuchen. Ich kann sie verstehen, aber ich weiß auch, dass damit das Leben unter den Deutschsprechenden in Siebenbürgen noch schwieriger wird.
Wie kann geholfen werden? "Wiederkommen" hat Prof. Hans Klein gesagt, sehen, Anteil nehmen, teilen, unterstützen. Wir wollen das auch weiterhin nach Kräften tun. Aber muss nicht eine andere, größere Lösung her? Ich stelle mir vor, die Kirchenburgen in Siebenbürgen werden zu Sozialstationen für alle Menschen in Rumänien entwickelt: mit großzügiger deutscher Hilfe wiederhergestellt, eingerichtet als Stationen von Entwicklung und Begegnung, bestückt mit gut bezahlten Experten, die bereit sind, eine Zeit lang im Lande zu leben, begleitet von den Siebenbürger Sachsen, die geblieben sind, gestützt von einem gemeinsamen Glauben.
Orthodoxe und Katholiken, ja Menschen aller Weltanschauungen könnten erleben, wie aus evangelischem Glauben heraus ein Beitrag zur Entwicklung von Wirtschaft und Demokratie in Rumänien geleistet wird, wie es schon einmal war, als die Landesherren die Deutschen, die "Sachsen", holten zur Entwicklung eines wunderschönen Landes. Es dürfte nicht gekleckert, es müsste geklotzt werden. Und die lutherische Theologie müsste entdecken, dass sie eine diakonische, eine dienende Funktion in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu bieten hat. Luther hat dazu viele wichtige Anstöße gegeben.