Wieder November
von Felix Evers
Ein trister Monat. Sterben und Tod, Allerseelenandachten und Friedhofssegnungen, Volkstrauertag und Totensonntag - jedes Jahr von neuem stellen wir uns den Dunkelheiten unseres Lebens. Immer schon wollten die Menschen wissen, ob gegen den Tod ein Kraut gewachsen ist. Der platonische Gedanke von der Unsterblichkeit der Seele bejaht das. In die gleiche Richtung weisen die pythagoreische Lehre von der Seelenwanderung und die hinduistischen Varianten der Reinkarnationslehre, die inzwischen in unseren Breiten immer mehr Anhänger findet. Andere sprengen sich im "Heiligen Krieg" freiwillig in die Luft, um ihre Feinde zu töten, vor allem aber, um den Weg in das Reich der Seligen abzukürzen. Wieder andere waren und sind überzeugt, mit dem Tod kehre der Mensch in den Kreislauf der Natur zurück. Darum setzen sie seine Asche im Wurzelgrund von Bäumen bei und sprechen von Waldesruh und Friedwald, sie versenken sie ins Meer oder verstreuen sie in alle Winde. Andere sagen, wir seien Sternenkinder, geboren vor Jahrmilliarden im Staub einer fernen Galaxie, ein winziges Element im gewaltigen "Stirb und werde" des Kosmos.
Wir Christen hingegen glauben an den Gott, der die Liebe ist und uns in Jesus vorgelebt hat, dass er auch Todesangst, qualvolles Sterben und den bitteren Aufschrei des "Warum?" kennt. Christen nehmen den Tod als endgültiges Ende eines Lebens ganz ernst. Sie lieben das Leben, nicht den Tod. Aber das Leben lieben kann nur, wer zu sterben weiß. Wer sich an das Leben klammert um jeden Preis, wer es auskosten will bis zur Neige, den hält die Todesangst im Würgegriff. Das irdische Leben wird durch den Tod beendet. Es findet keine Fortsetzung über den Tod hinaus statt. Dennoch behält der Tod nicht das letzte Wort. Es ist dieses irdische Leben, das vom liebenden Gott vollendet und verwandelt wird. "Ewiges Leben" ohne Raum (im Himmel ist es nicht "voll und überfüllt", der Himmel ist nicht "oben") und ohne Zeit (im Himmel ist es nicht "langweilig") meint ein Leben in vollkommener Gemeinschaft mit Gott. Das ewige Leben gewinnt Gestalt bereits im zeitlichen Leben in dem Maße, in dem wir es mit Gott gestalten: Glaube, Hoffnung und Liebe.
Christen glauben einzig und allein an Gott, nichts sonst; nicht an die Ewigkeit des Geistes und die Unsterblichkeit der Seele, nicht an die Ewigkeit der Materie und den sich erneuernden Kreislauf der Natur. Sie hängen, wie Luther sagt, ihr Herz ganz und gar an Ihn, und sie tun das im Vertrauen auf Jesus Christus. Wer glaubt, setzt im Leben wie im Sterben ganz auf Gott, der die Liebe ist. Niemand und nichts in der Welt verdient solches Vertrauen. Und dieser Gott hebt mein Leben im Tod auf, weil er mich liebt: Er bewahrt (hebt auf), was gut war; er vergibt und tilgt (hebt auf), was nicht gut und damit Sünde war; er richtet empor (hebt auf), was mich niederdrückt und meine Würde verdunkelt hat. Himmel und Hölle sind keine Alternativen: "Hölle" meint lediglich die Freiheit des Menschen, ohne diesen Gott zu leben, und damit einen Selbstausschluss von der Liebe, den Gott erträgt - keine Bestrafung. Und "Gericht" meint keine Urteilsverkündung im Sinne der Gerechtigkeit, sondern die Erfahrung des Menschen am Ende unseres Lebens, von unserem Schöpfer "aufgerichtet" zu werden und Vergebung und Vollendung zu erfahren. Gott wartet auf uns, weil er uns liebt - und nicht, weil er uns bestrafen will. So hat es Jesus zum Beispiel verkündet, als er den heimkehrenden "verlorenen Sohn" in die Arme des sehnsüchtig wartenden "barmherzigen Vaters" rennen lässt.
Wo der Körper Medium der Gemeinschaftsbildung ist, spricht die Theologie vom Leib. Menschen, deren Körper gleichsam transparent ist für das Gute und Wahre in ihm, rufen bei anderen das Empfinden hervor, von innen zu strahlen. Dieser Glanz verleiht ihnen eine Schönheit, die unabhängig ist von ihrem Aussehen. Das Höchstmaß seiner Lebendigkeit erreicht der Mensch, indem er mit anderen und allem in Beziehung lebt. Die ganze Menschheit, die ganze Welt hat Platz in dieser Hoffnung - das meinen Christen mit ihrer Rede von der "leiblichen Auferstehung", der "Vollendung der Welt" und dem "neuen Himmel und der neuen Erde". Jeder, der stirbt, bringt das Stück Welt und die Menschen mit zu Gott, zu denen er liebevolle Beziehungen unterhalten hat. Der Himmel vollendet Beziehungen und ist Gemeinschaftserfahrung; er kennt keine "Einzelzellen" oder "Isolierhaft".
Die Wiederkunft Christi am Ende der Zeiten ereignet sich im Tod jedes Menschen. Wenn ich einmal das Zeitliche segne, kommt mir Christus entgegen, um mein Leben zu verwandeln und zu vollenden. Wenn alle Menschen gestorben sein werden, wird diese Welt voll und ganz vollendet sein, wird also das "Ende der Welt" gekommen sein; Grund zur Freude, keine apokalyptisches Szenarium. Ich wünsche uns in diesem November, über Sterben und Tod neu ins Glaubensgespräch zu kommen.
Aus: Pfarrbrief November 2006 der Gemeinden Heilig Kreuz, Mölln, und Sankt Answer, Ratzeburg