Sie sind hier: Weitere Künstler / Helmut Godzik / Weihnachtsansprache 1969

Ansprache von Helmut Godzik bei der Weihnachtsfeier des Reichsbundes, Ortsgruppe Leck, am 16. Dezember 1969

Vom Himmel in die tiefsten Klüfte
ein milder Stern herniederlacht;
vom Tannenwalde steigen Düfte
und hauchen durch die Winterlüfte,
und kerzenhelle wird die Nacht.

Mir ist das Herz so froh erschrocken,
das ist die liebe Weihnachtszeit!
Ich höre fernher Kirchenglocken
mich lieblich heimatlich verlocken
in märchenstille Herrlichkeit.

Ein frommer Zauber hält mich wieder,
anbetend, staunend muß ich stehn;
es sinkt, auf meine Augenlider
ein goldner Kindertraum hernieder,
ich fühl's, ein Wunder ist geschehn.

Diese Verse, meine Damen und Herren, die Theodor Storm geschrieben hat, sollten am Anfang meiner kleinen Ansprache stehen, weil sie die ganze Wärme der Weihnachtszeit so trefflich wiedergibt.

Obwohl ich kein Mitglied des Reichsbundes bin, weiß ich doch um seine Ziele und Aufgaben und das Symbol des Reichsbundes - die Opferschale mit der ewigen Flamme - durfte ich vor ein paar Monaten einmal auf ein großes Transparent malen und deshalb kenne ich dieses Symbol nur zu gut. Und wenn heute viele Kerzen auf Ihren Tischen brennen, so ist die Brücke geschlagen zwischen den Symbolen des selbstlosen Opfers, denn die Kerze leuchtet, indem sie sich selber verzehrt.

Sehen Sie, ich stamme aus einer Ecke unseres Vaterlands, wo es heiße Sommer und eiskalte Winter gibt, Jahr um Jahr. Wie oft gingen wir einst am Heiligabend durch die harten kalten Straßen zur Christnacht, wir Kinder, mein Bruder und ich, dazu Mutter und Großmutter, Vater war nicht dabei, denn der lag seit 1916 in einem Soldatengrab an der Somme. Die Abende rochen immer nach Schnee, und wie oft kamen wir nach der Christnacht aus der Kirche, und da war die graue Stadt wie verzaubert, denn es hatte indessen tüchtig geschneit. Die ganze Stadt war mit einem Mal schneeweiß und ganz still, denn der Schnee dämpfte jeden Laut. Ja, weiße Weihnachten, da war die Weihnachtsfreude vollkommen. Wir gingen am Heiligabend immer sehr früh zur Kirche, um in Bank sitzen zu können, an deren Seite sich ein riesengroßes holzgeschnitztes Kriegerdenkmal erhob. Da stand auch der Name unseres Vaters drauf. So waren wir getrennt und doch zusammen. In der Pauluskirche zu Breslau erhebt sich kein Streit mehr, ob Kriegerdenkmäler in die Kirche gehören oder nicht. Denn diese wunderbare Kirche wurde in den ersten Tagen des Jahres 1945 dem Erdboden gleichgemacht, weil das braune Gesetz es so befahl.

Aber ich wollte ja etwas ganz anderes erzählen. In der Kirche meiner Heimat, 1400 Menschen fanden darin Platz, stand am Heiligabend eine riesige Tanne am Altar und davor als Transparent eine mannshohe Krippe, dreiteilig wie ein kleines Altarbild für sich. Links knieten die Hirten, rechts die Weisen aus dem Morgenland, und in der Mitte befand sich die heilige Familie, mit Josef, dem Zimmermann, der Jungfrau Maria und dem Kind in der Krippe. Dieses Bild hat mich viele, viele Jahre verfolgt, und in den Jahren nach dem unseligen Kriege - ich war damals 30 Jahre alt - habe ich etwa 10 Jahre lang Jahr um Jahr eine neue Krippe gebaut, modelliert oder auch nur gezeichnet. Viele Tage vor dem Fest habe ich stets darauf verwandt. Ich erinnere mich daran noch recht gut. In den ersten Jahren nach dem Kriege, als ich eine eingefärbte Uniform mit zivilen Knöpfen als Alltags- und Sonntagsanzug trug, galt meine ganze Liebe beim Bauen der Krippe den Hirten. Ich hatte so gar keine Mühe, ihre armseligen Gewänder zu gestalten. Und auch mit den Kühen und Schafen in Bethlehems Stall befaßte ich mich ein wenig länger, daran muß wohl der ewige Hunger und das leere Gefühl im Magen Schuld gehabt haben.

In den fünfziger Jahren waren es eigenartigerweise die 3 Könige, deren Gewänder und goldener Schmuck meine Fantasie fesselten, und der Gegensatz zu den armen Hirten wurde von Jahr zu Jahr krasser.

Ja, und die heilige Familie erfuhr in meinen Krippen eine stete Wandlung. Ich sagte es schon, ich war 30 Jahre alt, als ich das Krippenbauen begann. In den ersten Krippen war Josef ein junger blühender Mann, so ein rechter Altersgenosse zu Maria, dem jungen Weibe. Ich wollte es einfach nicht wahrhaben, daß Josef ein alter Mann war. Aber während von Krippe zu Krippe Jahr älter wurde, wurde der Josef meiner Krippen viel, viel schneller ein alter ergrauter Mann. Maria dagegen war all die Jahre hindurch jung und lieblich geblieben, ich habe auch den Heiligenschein in keinem Jahre vergessen, bei ihr und dem Kinde nicht, und ich kann heute besser denn je - allen Gegenströmungen zum Trotz - jene schlichten Menschen verstehen, die da bekennen: geboren von der Jungfrau Maria ...

Vor etwa 10 Jahren habe ich die letzte der vielen Krippen gebaut. Seitdem steht von Jahr zu Jahr der gleiche Stall aus Haselnußzweigen und dem Dach aus natürlichem Stroh, mit dem alten Josef und der lieblichen Maria, dazu das Kind in der Krippe, unter dem Tannenbaum. Zu neuen Krippen habe ich mich einfach nicht mehr aufraffen können. Wann sollte ich auch die Zeit dazu finden, da sich die aktuellen Programme im Fernsehen selbst in der Weihnachtszeit geradezu überbieten und ich Lecker Bürger geworden bin und mich den vielen amtlichen und ehrenamtlichen Gemeinschaftsaufgeben nicht mehr so recht entziehen kann. Nun hoffe, besser gesagt: baue ich auf meine drei großen Kinder, daß sie sich demnächst an den Bau der Krippen heranmachen. Vielleicht baue ich da ein wenig auf Sand, denn ist denn der Stall von Bethlehem überhaupt noch der Mittelpunkt der Weihnacht? Es gibt da Stachelschweine in unserer Gesellschaft, die können sich über das verdammte deutsche Gemüt nicht lustig genug machen, und ich habe es mit eigenen Augen gesehen: Es wurde viel Beifall geklatscht. Also wird es schwerfallen, die eigenen Kinder zur Arbeit an der Krippe anzuhalten.

Ich habe mir noch eine andere Sendung angesehen: Sie lautete "Ausblick auf das Jahr 2000". Es wird - wenn Ausblick Wahrheit werden sollte - dann Städte geben mit 500 Millionen (ja Sie haben richtig gehört!) mit 500 Millionen Menschen. Im 50. Stockwerk (vielleicht ist es ja das 1. Stockwerk, wenn erst die Häuser im Äther werden) soll die Luft besonders rein sein. Eine Netzkarte zum Mond wird zu den Selbstverständlichkeiten des Alltags gehören. Das Wetter werden künftig wir bestimmen, und da geht es dann wohl schon los: Wie sehr habe ich die weißen Weihnachten am Eingang meiner Ansprache gepriesen, was aber, wenn die gut demokratische Mehrheit dies als typisch deutschen Kitsch bezeichnet und die Stachelschweine das Wetter am Heiligabend bestimmen? Kinder aus der Retorte mit besten Anlagen - im Jahre 2000 eine Kleinigkeit. Du warst krank? Ich höre wohl nicht gut, wird man um die Jahrhundertwende sagen.

Wer aber sorgt für all diesen Fortschritt? Sind wir's? Ja und nein. Zunächst einmal sind es die Weisen unserer Zeit, Weise aus dem Morgenland, Weise aus dem Abendland und Weise aus dem Lande der ungeahnten Möglichkeiten. werden ihren Forscherdrang nicht bremsen, aber sollten wir sie nicht Tag um Tag inständig bitten, über dem Geist die Seele nicht zu vernachlässigen, denn es könnte wohl sein, daß ihre Hochrechnung letzten Endes so aufgeht, daß selbst der letzte Mensch auf der Strecke bleibt.

Und deshalb meine ich, daß die Weisen unserer Zeit sich wieder in Demut aufmachen sollten - wie damals zu Bethlehem - und ich bin sicher, sie werden den Mond und die Venus, den Mars und den Saturn erobern, dennoch aber den einen Stern nicht übersehen, der über den Weihnachtskrippen in aller Welt steht.

In 8 Tagen werden auch in Ihren Häusern und Stuben Weihnachtslieder erklingen, wird die helle Kinderfreude zu hören und sehen sein, heute schon verbreiten die Kerzen des Advents jenen zauberhaften Glanz, der nun einmal zur Weihnacht gehört, und mögen sie uns verhöhnen und verlachen, die so eingebildet Unsentimentalen, wir, die wir das Leben und das Leid, den Verzicht und das Opfer kennen, wissen ein wenig um das Geheimnis der Stillen Heiligen Nacht. ...

Ich wünsche Ihnen allen von Herzen gesegnete Weihnachten.

H.G.