Die Szene in "Asterix als Legionär" - das Schiff der Piraten wird von Asterix und Obelix, die auf dem Weg nach Afrika sind, versenkt (Seite 35) - und im Film "Mission Kleopatra", als das Piratenschiff durch eine durch Obelix geschossene Steinkugel versenkt wird und sich die Piraten auf ein Floß retten können (Abb. 10), ist eine Anspielung auf das Gemälde "Das Floß der Medusa" (Le radeau de la Méduse) von Théodore Géricault (1791-1824).
Weblinks
Feuchtinger, Sujetverwandtschaft
Kloppmann, Das Floß der Medusa
TU Berlin, Foto einer Theateraufführung "Das Floß der Medusa"
Zur Entstehungsgeschichte des Gemäldes
Der Bericht vom Floß der Medusa lieferte den Impuls für eines der imposantesten Bilder der Moderne. Gaben die beiden Autoren Savigny und Corréard den politischen Mißständen durch ihre Beschreibung des Schiffbruchs eine Stimme, so gab der junge Maler Théodore Géricault ihm mit seinem gleichnamigen Monumentalgemälde ein Gesicht. Die große Leinwand (491 x 716 cm) zeigt das Floß am Tag der Rettung. Wiedergegeben ist der erste Sichtkontakt der Schiffbrüchigen mit der Brigg Argus, die im Bild nur als winziger Punkt am Horizont dargestellt ist. In diesem Augenblick schlägt die trübe Dumpfheit nach zwölf Tagen Kampf, Not und Ungewißheit um in verzweifelte Hoffnung auf die letzte Chance.
Die Bewegung der Schiffbrüchigen auf dem Floß fließt gleich einer Welle in einem Bogen von der Mitte nach rechts oben und kulminiert im ausgestreckten Arm eines Mannes, der ein Fass bestiegen hat. Er wird von links her gestützt und von rechts durch einen zweiten Winkenden vor ihm unterstützt. Diese Dreiergruppe wird kompositionell eingefaßt von drei ausgestreckten Armen, die weniger direkt in Richtung der Argus zielen als vielmehr parallel nach rechts oben, nach vorne, in die Zukunft weisen.
Der Ausdruck der letzten Hoffnung in höchster Not wird noch verstärkt durch die Darstellung des Gegenteils: der tiefsten Verzweiflung. Abgewandt von der rettungverheißenden Brigg am fernen Horizont kauert ein Mann mit Kopftuch, die rechte Hand ins Gesicht gestützt, die linke um einen Leichnam gelegt. Für ihn scheint wie für die Toten, die ihn umgeben, jede Hilfe zu spät. Allein diese Figur blickt mit leeren Augen aus dem Bild heraus. Der Blick des Betrachters geht mit den Blicken der Überlebenden auf die Suche nach dem rettungverheißenden Schiff in die Ferne.
Daß es überhaupt zu einer Rettung kommt, ist im Augenblick des Bildes noch höchst fragwürdig. So wie der Betrachter zunächst das Schiff am Horizont suchen muß, so erscheint die Sichtung des Floßes vom Schiff her nicht zwingend notwendig, zumal die See alles andere als ruhig ist. Schon die nächste Welle, die rechts vom Schiff zu sehen ist, erhebt sich, obwohl sie die kleinste auf dem gesamten Bild ist, ungefähr zur selben Höhe wie die Argus. Rechts folgen ihr weitere, höhere Wellen. Die bedrohlichste Welle zeigt sich links des Floßes. Doch schenkt ihr niemand Aufmerksamkeit. In den letzten Tagen konnten die Schiffbrüchigen viele Wellen beobachten, ein Schiff blieb jedoch aus, bis zum dargestellten Augenblick am Morgen des 17. Juli 1816.
Das Gemälde hängt heute im Pariser Louvre und darf als ein Schlüsselwerk der Moderne gelten. ...
Im November 1817 veröffentlichen Savigny und Corréard ihren Tatsachenbericht. Kurz darauf kommt Géricault von seiner Italienreise zurück. Ein Vierteljahr später, am 24. Februar 1818, kauft er die Leinwand. Danach vergehen weitere vier Monate, bis er am 28. Juni 1818 die Leinwand in ein größeres Atelier bringt, das er eigens für die Arbeit an dem Floß der Medusa angemietet hat. Es wird berichtet, daß der der Künstler zunächst versuchte, möglichst viele Informationen über die Geschichte zu sammeln. Dazu gehören auch zeitgenössische Stiche, die verschiedene Situationen auf dem Floß dokumentieren.
Es wird berichtet, daß er den Zimmermann des Floßes, der überlebt hatte, ausfindig machte, damit er ihm ein originalgetreues Modell des Floßes baut, das fortan in seinem Atelier stand.
Am Anfang tat sich Géricault offenkundig sehr schwer. Er stand vor seiner riesigen Leinwand und hatte noch keine klare Vorstellung von dem Inhalt des Gemäldes, was sich darin äußerte, daß er verschiedene Szenen, die der Bericht lieferte, ausprobierte.
Nach den Zeichnungen zu urteilen, gestaltete Géricault für insgesamt fünf Szenen des Berichts Bilder. In der Reihenfolge des Berichts stand zunächst die Meuterei. Eine Zeichnung gibt die wilde Schlachtsituation der ersten beiden Tage wieder (Abb. 1). Auf dem völlig überfüllten Floß bricht bei schwerer See der wüste Kampf aus. Der hintere Teil des Gefährts scheint von Wasser bedeckt zu sein. Der Platz unter dem Segel ist den Offizieren vorbehalten. Der Mannschaftsteil auf der rechten Seite ist dagegen von einem heillosen Durcheinander bestimmt. Hier klammern sich einige Figuren, schon halb vom Floß gedrückt, an die Schiffstaue. Dieser Entwurf scheint relativ dicht an die Textvorlage angelehnt, doch ist es weniger eine detaillierte Wiedergabe als vielmehr eine aus den Ereignissen der ersten beiden Nächte verdichtete Darstellung, die Géricault hier in einem Entwurf vereinigt.
Die nächste Szene, die ihm bildwürdig erschien, schildert Ereignisse, die erst einige Tage später vorfielen. Wiedergegeben ist der Ausbruch von Kannibalismus (Abb. 2). Vom Kannibalismus selbst ist nur eine Zeichnung bekannt, die aber gleichfalls komplett durchkomponiert ist und damit als Alternative gelten darf. Auch werden einige Figuren aus diesem Entwurf in die Endfassung mit aufgenommen. Auf dieser Skizze ist die Anzahl der Überlebenden schon stark dezimiert. Das Floß tritt nun deutlicher aus den Wassermassen als in der ersten Szene. Es liegt bei mäßigem Wellengang zentral im Bild. Das Licht liegt auf fünf Figuren im Vordergrund, die etwa kreisförmig angeordnet sind. Zentral vor dem Mast des Floßes steht eine bärtige Gestalt, links von ihr sieht man auf dem Floß, wie ein Überlebender die Zähne in den Arm eines Toten schlägt. Diese Szene sieht etwas merkwürdig aus. Möglicherweise hat Géricault sie verworfen, weil der Akt des Kannibalismus auf der einen Seite ein zu wichtiges Detail war und auf der anderen Seite etwas in der Gesamtkomposition verschwindet. So erscheint dieser Entwurf insgesamt sehr statisch.
Die nächste Szene ist das Sichten der Argus (Abb. 3). Das erste Blatt, das die spätere Endversion zeigt, ist noch umrandet von mehreren Detailstudien, doch ist der Grundaufbau schon erkennbar. Das in der Mitte liegende Floß verläuft leicht geneigt von links unten nach rechts oben, der Argus entgegen. Auf diesem Entwurf ist die Brigg noch deutlich größer eingezeichnet, doch bevor die Entwicklung zum endgültigen Werk weiter verfolgt wird, sollen noch die beiden weiteren Szenen thematisiert werden, die Géricault in Erwägung zog.
Die letzten beiden Kompositionsskizzen beziehen sich auf die Rettung. Die erste Szene zeigt, wie die Geretteten ein sich näherndes Ruderboot bejubeln (Abb. 4), also den letzten Moment vor der eigentlichen Rettung. Auf diesem Entwurf nähert sich das Rettungsboot von links. Rechts im Vordergrund ist das Floß ungefähr zur Hälfte angeschnitten. Auf ihm die Überlebenden in betenden und flehenden Gesten, als könnten sie ihr Glück noch nicht recht fassen.
Der letzte Entwurf zeigt die eigentliche Rettung (Abb. 5). Nun ist das Rettungsboot in den Vordergrund getreten. Ein Matrose ist auf das Floß gestiegen, um einen nackten Überlebenden zu bergen.
Von Anfang an schienen den Maler nicht die verächtlichen Taten des Kapitäns interessiert zu haben, die als der eigentliche Skandal galten, sondern nur die Ereignisse auf dem Floß. Die Meuterei (Abb. 1) scheint ihn zunächst am stärksten gefesselt zu haben. Géricault zieht dabei die Ereignisse von mehreren Tagen zusammen. Beeindruckend an diesen Entwürfen ist das Zusammenfließen zwischen aufgewühltem Meer und erregter Menschenmenge. Besonders in der rechten Bildhälfte vermag man nicht mehr auszumachen, wo der eine Leib endet und der andere beginnt. Nur der Mast und das Faß bieten dem Auge etwas Halt und hier sind auch die beiden Protagonisten der Szene auszumachen. Der Meuterer auf der rechten, der treue Offizier mit abgeschlagenem Schwert auf der linken Seite. Ein Horizont ist nicht auszumachen und auch das Floß ist nicht zu sehen. Die gesamte Szene erscheint im wahrsten Sinne des Wortes boden- und haltlos. Warum sich Géricault später für ein anderes Motiv entschieden hat, muß Spekulation bleiben, sicher ist dagegen, daß dieser Entwurf als Gemälde einen gänzlich anderen Eindruck vermittelt hätte.
Aufschlußreich ist die weitere Entwicklung des Motivs bis zur Endfassung. So wie man heute die Bildfindung rekonstruiert, sind auf der ersten Skizze (Abb. 3) schon wichtige Merkmale vorhanden. Lage, Zelt und Segel sind gut miteinander vergleichbar. Auch daß das Floß links von einer Welle und rechts von der Argus eingerahmt ist, hat Géricault in seinem späteren Gemälde aufgenommen. Schließlich die berühmtesten Gesten: das hoffnungsvolle Winken auf der einen und das verzweifelte Resignieren auf der anderen Seite sind schon im ersten Entwurf angedacht.
Eine weitere wohl frühe Skizze zeigt das Floß etwas flacher im Wasser liegen (Abb. 6). Die See ist ruhig und der Ausschnitt ist etwas näher gewählt. Das Floß reicht bis an den unteren Bildrand heran. Die rettende Argus ist am flachen Horizont zu sehen, halb angeschnitten. Die Skizze erlaubt nicht zu sagen, in welche Richtung die Brigg fährt, ob nach rechts oder nach links - also in das Bild oder aus dem Bild heraus. Dies ist aber ein entscheidender Unterschied. Das Motiv der Verzweiflung bekäme bei der Fahrt der Argus aus dem Bild heraus einen anderen Zusammenhang. Es wäre die verflossene Hoffnung dargestellt, nicht die Verzweiflung an sich.
Möglicherweise um diese Interpretation zu verhindern, zeigt die wahrscheinlich nächste Komposition einen Bildaufbau, der der Endfassung bereits sehr ähnlich ist. Diese Studie war dem Künstler dann auch so viel wert, daß er eine Ölskizze anfertigte (Abb. 7). Es ist der Zeitpunkt dargestellt, an dem die Argus das zweite Mal sichtbar wird. Bei ruhiger See sind die Überlebenden dargestellt. Zu zählen sind vierzehn Schiffbrüchige. Nach allem, was man weiß, dürfte dieser Entwurf den Schilderungen der Überlebenden am nächsten kommen. Doch geht Géricault über diesen Zustand des Bildes hinaus.
Eine spätere Fassung, die bereits 1819 datiert wird, zeigt eine Veränderung (Abb. 8). Das rettende Schiff ist in die Ferne gerückt, die strebende Bewegung in seine Richtung hat sich jedoch noch gesteigert. Als besonderes Motiv steht der Mann auf dem Faß, wodurch eine größere Spannung entsteht. Auf der einen Seite steigert sich die Bewegung der Überlebenden jetzt auch in die Höhe und das Meer wird unruhiger, auf der anderen Seite wird die Argus weiter entfernt dargestellt.
In der Endfassung ist von der Brigg nur noch ein winziger Punkt geblieben. Das Floß selbst ist dagegen noch weiter an den unteren Bildrand gerutscht. Die Planken reichen bis über den unteren Bildrand.
Von den Leichenteilen und den abgeschlagenen Köpfen ist auf der End- fassung wenig geblieben. Stück für Stück wird das Ereignis stilisiert. In der Zuspitzung auf den Moment größter Spannung zeigt das Bild im wörtlichen Sinne die Katastrophe als Wendepunkt. Géricault geht damit freilich über die Realität hinaus. Trotzdem wird der "Realitätseffekt" (Barthes) des Bildes immer wieder von verschiedenen Autoren betont. So schreibt Dieter Bachmann dem Gemälde einen Kinoeffekt zu: "Heute hängt die Leinwand mit dem unteren Rand knapp über dem Boden, türmt sich hinauf weit über die Augenhöhe; wer länger davorsteht, beginnt zu spüren, wie er in das Bild hineinwächst oder, anders, wie die Misere dieses Floßes ihn zu umstellen beginnt; ein Filmeffekt von einer Riesenleinwand achtzig Jahre vor der Erfindung des Kinos."
Auch Belting vollzieht den Akt des Eintauchens in das Gemälde, indem er schreibt: "Der Schiffbruch findet noch immer statt, solange wir Géricaults Gemälde betrachten, als wären wir selbst im Bild. Solche Bilder kommen als Erinnerung daher, die wir in unsere eigene Erinnerung verwandeln."
Und schließlich sei auf Peter Weiss verwiesen, der als Schriftsteller den in Rede stehenden Effekt wohl am eindrücklichsten schildert und sich seiner Sache sogar so sicher ist, daß er den Willen Géricaults wiederzugeben glaubt. "Der Beschauer, so hatte es der Maler gewollt, sollte, wenn auch keiner der Gescheiterten ihm einen Blick zuwandte, sich in unmittelbarer Nähe des Floßes wähnen, es sollte ihm scheinen, als hinge er, mit verkrampftem Griff, an einem der vorspringenden Bretter, zu matt schon, um die Rettung noch erleben zu können. Was sich anbahnte hoch über ihm, betraf ihn nicht mehr. Ihr, die ihr vor diesem Bild steht, so sagte der Maler, seid die Verlorenen, denen, die ihr verlassen habt, gehört die Hoffnung." ...
Daß die untergegangene Fregatte den Namen der griechischen Gorgonentochter trägt, ist kein Zufall. Das Schiff war die mächtigste Waffe der Franzosen zur See und Kriegsgerät trug oft den Namen oder eine Darstellung der Medusa. Zurück geht dieser Brauch auf eine Geschichte, wonach Minerva das abgeschlagene Haupt der Medusa an ihren Schild heftet. Der Feind sollte im Kampf vor dem Abbild der Medusa erschrecken und somit leichter zu überwinden sein. Genauso sollten die Feinde Frankreichs erstarren, wenn sie die Fregatte Medusa auf offener See erblickten. Das Erblicken der Medusa ist im Französischen sogar sprichwörtlich geworden: "Je suis médusé!" steht für das plötzliche Versteinern, das unmittelbare Erschrecken.
Die Verbindung von Géricaults Gemälde mit dem antiken Mythos entstammt wiederum der Bildkunst selbst. Im Band X der Comicreihe Asterix reisen die Protagonisten zur See und begegnen wie üblich jenem immergleichen Piratenschiff, das jedesmal von den Galliern überfallen und zerstört wird. Die schiffbrüchigen Piraten stellen im nächsten Bild Géricaults Bild nach (Abb. 9), wobei ihr Anführer "Je suis médusé!" ausruft, also sowohl auf das berühmte Gemälde als auch auf den Mythos verweist.
Das Eigentümlichste an der Medusa bleibt allerdings, daß man sie nicht sehen kann. Da jeder, der sie sieht, sofort versteinert, bedeutet der Anblick gleichzeitig den Tod. Goethe formulierte daher vor der Medusa Rondanini werde man zu einem "doppelten Menschen". Die Medusa töte quasi die naive Betrachtungsweise und ließe den sentimentalischen Blick zurück, um hier Schillers berühmtes Wortpaar zu benutzen. Jedenfalls zeichnet sich die Moderne in vielerlei Spielarten durch eine nicht zu versöhnende Zwiespältigkeit aus, die zwischen Sehen und Erkennen changiert und die im Fall der Medusa zwischen dem "einfachen" Sehen eines Bildes und dem Erkennen und Erstarren der Medusa hin- und herpendelt. ...
Es wurde immer wieder betont, daß es Géricault um den Moment des Sehens, den Augenblick, um das Erkennen des Schiffs ging. Daß er das Schiff im Entstehungsprozeß immer kleiner auffaßte, diente der Steigerung dieser Form. In diesem Vorgang scheint das Verfahren ähnlich zu sein wie bei dem Fotografen in Michelangelo Antonionis Blow Up. So wie der Fotograf versucht, das Mordopfer zu vergrößern, so scheint der Maler bestrebt, das Schiff zu verkleinern.
Die letzte Verkleinerung ist dem Maler durch die zeitgenössische Rezeption gelungen: in vielen Nachstichen des Gemäldes fehlt das rettende Schiff gänzlich. So zeigt eine Grafik von 1819 aus den Annales du Musee et de l'Ecole Moderne des Beaux-Arts eine Reproduktion ohne Argus (Abb. 11). Albert Alhadeff hat sich mit diesem Phänomen eingehend beschäftigt und es die "Präsenz einer Abwesenheit" genannt. Diese Formulierung ist sehr treffend, da fast alle Interpretationen auf die Sichtbarkeit der Argus aufgebaut sind, auf die herausragende Stellung des Sehens. Die Argus - so klein sie auch in der Endfassung geworden ist - macht die Großartigkeit des Bildes aus. Doch muß man davon ausgehen, daß viele Besucher des Salons von 1819 die Argus nicht gesehen haben. Géricault hat sich im Salon für eine Hängung seines Gemäldes hoch oben an der Wand eingesetzt. Der Maler hat die rettende Argus gemalt, aber so klein, daß der Besucher sie nicht sehen konnte. "Ich habe einen Mord fotografiert, aber ich habe ihn nicht gesehen", könnte der Fotograf in Blow Up seine Erfahrung zusammenfassen, parallel dazu könnte man Géricault in den Mund legen: "Ich habe die Argus gemalt, aber ihr werdet sie nicht sehen."
Was Antonioni in Blow Up auf die Spitze treibt, ist die Tatsache, daß der Fotoapparat auch Details abbildet, die der Fotograf nicht sieht. Meistens sind es kleine, unbedeutende Details wie die Falten im Anzug bei Porträtaufnahmen, die man am Modell nicht bemerkt, die aber auf dem Foto hervorstechen. Géricault erzielt einen ähnlichen Effekt von der anderen Richtung her. Er konnte davon ausgehen, daß die Geschichte des Floßes bis in die Details allgemein bekannt war. Durch den Tatsachenbericht wußten die Besucher des Salons, daß die Schiffbrüchigen von der Brigg Argus entdeckt und gerettet wurden. Daher konnte Géricault sie weglassen. Er verkleinert sie aber zu einem winzigen Punkt und hängt das Bild in so große Entfernung, daß der Besucher, der das Bild nicht aus der Nähe kennt, es nicht entdecken kann. Es scheint dem Künstler aber wichtig zu sein, daß die Argus materiell, das heißt als Farbe, anwesend ist, ohne sichtbar zu sein. Was veranlaßt aber einen Maler, ein Detail auf ein Bild zu malen, um es dann in der Ausstellung so zu präsentieren, daß die Besucher es nicht sehen können? Eine Antwort könnte sein, daß die Realität - so paradox es klingt - im Nichterkennen gesteigert wird. Das Detail wird gerade durch die Unsichtbarkeit zu einer Art objektivem Abdruck. So wie der Fotograf nicht weiß, was das Detail genau darstellt, so weiß er doch, daß es irgend etwas gab, das eine Spur auf dem Negativ hinterlassen hat. Vice versa läßt Géricault die Argus verschwinden und prägt sie dadurch um so eindrücklicher in die Vorstellung der Besucher ein.
Daß Géricault aber die Inszenierung im Salon für den Effekt wichtig war, kann man daran erkennen, daß er dieselbe Szene 1820 in einem kleinen Format für die Illustration der vierten Auflage des Berichtes vom Schiffbruch der Medusa nochmals malte (Abb. 12). Für diese Version zeichnete er die Argus gut sichtbar ein, da der Künstler wußte, daß man das Buch im angemessenen Abstand zum Auge liest. Er hatte keinen Einfluß auf eine außergewöhnliche Präsentation ("Bitte legen Sie das Buch ab, treten Sie drei Schritte zurück und betrachten Sie die Illustration auf der rechten Seite"); die Konsequenz war, daß er auf den Effekt verzichtet. ...
Auszüge aus: Jörg Trempler, Der Stil des Augenblicks. Das Bild zum Bericht, in: Jean-Baptiste Henri Savigny/ Alexandre Corréard, Der Schiffbruch der Fregatte Medusa, Berlin: Matthes & Seitz, 2. Auflage 2005, S. 191 f, 212 ff, 223 f, 226 ff; dort auch die hier nicht wiedergegebenen Anmerkungen.