Achtgeben auf das Kind
von Propst Peter Godzik, Ratzeburg
Eine Betrachtung zur Weihnachtszeit
Kinder werden von Frauen geboren - so war es zu allen Zeiten, so ist es auch noch heute trotz künstlicher Befruchtung und Leihmüttern. Welche Rolle spielen dabei die Männer, die weder schwanger werden noch gebären noch stillen können? Die Weihnachtsgeschichten nach Matthäus und Lukas, die uns in diesen Tagen vielfach begegnen, erzählen davon und geben interessante Aufschlüsse.
Zacharias verschlägt es die Sprache, als er davon hört, dass seine Frau Elisabeth im fortgeschrittenen Alter ein Kind bekommen soll. Er kann seinen Dienst als Priester nicht mehr versehen und geht heim. "Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein", heißt es beim Propheten Jesaja (30,15). Männliche Zeugungsfähigkeit ist nicht einfach da, sie wird erst gewonnen in der Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel. Manchmal muss man warten, bis es soweit ist. Und ohne Gottes geheimnisvolles Zutun werden keine Kinder geboren - damals nicht und heute nicht.
Josef will seine Verlobte Maria nicht in Schande bringen, denkt aber daran, sie heimlich zu verlassen, weil er meint, nicht der Vater dieses sehnsuchtsvoll erwarteten Kindes sein zu können. Hat er geahnt, dass eine übergroße Liebe dieses Kind auf den Weg brachte? Ein Engel erst bewegt ihn dazu, bei der schwangeren Maria zu bleiben. Können wir das begreifen, dass ein Kind nicht einfach aus der Potenz des Mannes kommt, sondern Gott seine schöpferische Kraft dazu geben muss?
Josef macht sich mit Maria auf den beschwerlichen Weg nach Bethlehem - und lässt sie dabei Platz nehmen auf dem Maulesel, wie die Maler erzählen. Er findet mit ihr keinen Raum in der Herberge, sondern muss mit einem Stall vorlieb nehmen, in dem sonst Ochs und Esel hausen. Bei der Geburt ist er anwesend, sagt aber kein einziges Wort. Manche Maler lassen ihn das Süppchen kochen oder andere Handreichungen vornehmen. Nicht alle Männer begnügen sich gern mit solchen Nebenrollen, wenn das neue Leben ihnen das Gesetz des Handelns aus der Hand nimmt.
Eine erneute Engelbotschaft im Traum setzt ihn Tage später wieder in Bewegung zum Schutz von Mutter und Kind vor den Nachstellungen des Königs Herodes. Auf der Flucht nach Ägypten, so erzählen Maler und Bildhauer, legt er schützend seinen Mantel um Mutter und Kind. Ohne solche "Josefsqualitäten" hätten es auch heute noch Mütter und Kinder schwer, bewahrt zu werden vor den Anfeindungen und Anfechtungen des Lebens.
Herodes erschrickt angesichts der Mitteilung von der Geburt des Kindes und bangt um seine Macht. Er versucht herauszubekommen, wo dieses Kind, das ihm einst nachfolgen soll in der Königswürde, geboren wird und bietet dafür den ganzen Stab seiner Experten auf. Er tut so, als wolle er dem Kind die nötige Ehre erweisen, und plant doch bereits Schreckliches: Lieber sollen auch unschuldige Kinder umkommen, als dass er bereit wäre, mit einem von ihnen die Macht zu teilen oder gar ganz abzugeben. Wie viel von dieser Herodes-Mentalität durchzieht unsere modernen Gesellschaften?
Die Weisen aus dem Morgenland haben womöglich keine eigenen Kinder, lassen sich aber von einem Neugeborenen auf den Weg bringen. Sie nehmen weite Strecken und Strapazen auf sich, um dem Neuen zu begegnen und ihre Aufwartung zu machen. Sie tun ihre Schätze auf und schenken Gold, Weihrauch und Myrrhe - Geschenke voller symbolischer Bedeutung, weil für sie in diesem Kind zusammenkommt, was sie suchen: ewiges Königtum, strahlende Göttlichkeit, wahre Menschlichkeit. Für sie ist es kein Problem, vom hohen Ross ihrer Würde herabzusteigen und sich ehrfürchtig zu verneigen vor dem, was ihnen in diesem Kind begegnet: die Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Jedes neugeborene Kind erinnert uns daran, wie wir ursprünglich gemeint sind.
Die Hirten werden als einfache Menschen gewürdigt, die Friedensbotschaft der Engel als erste zu empfangen: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen". Was zeichnet sie aus gegenüber den Großen dieser Welt, die wie der Kaiser Augustus mit einem Fingerzeig die ganze Welt in Bewegung bringen und Menschen Lasten auferlegen können? Sie hüten des Nachts ihre Herde. Einfacher kann man Wachheit und Aufmerksamkeit gegenüber dem Kommenden nicht beschreiben. Sie sind treu im Alltäglichen. Sie hüten nicht sich selbst, sondern ihre Herde. Sie sehen und hören, worauf es ankommt. Sie lassen sich in Bewegung bringen trotz ihrer Furcht. Sie gehen und sehen, sie kommen eilend. Sie breiten das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kind gesagt ist. Sie kehren wieder um, sie preisen und loben Gott für alles, was sie gehört und gesehen haben. Von keiner Menschengruppe wird jemals aufgrund eines einzigen Ereignisses so viel aktive Tätigkeit berichtet wie gerade von den Hirten.
Anders Simeon, der fromme und gottesfürchtige Mann aus Jerusalem: Er wartet seit Jahren an der Tempeltür auf den Trost Israels und ist darüber alt geworden. Er soll nicht sterben, bevor er den Gesalbten des Herrn gesehen hat, so lautet die Verheißung. Er kommt durch eine Eingebung des Geistes in den Tempel zur rechten Zeit und sieht die heilige Familie, die Eltern und das Kind, die einfach tun wollen, was und wie es Brauch ist. Er nimmt es auf seine Arme und lobt Gott: "Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen." Er ahnt, dass dieses Kind kein leichtes Leben haben wird. Seiner Mutter wird es das Herz zerreißen am Ende unter dem Kreuz. An ihm werden sich die Geister scheiden, aber vor allem: vieler Herzen Gedanken offenbar werden.
In jedem geborenen Menschen eine Botschaft Gottes erblicken - das ist die Herausforderung dieser Tage, in denen es um das göttliche Kind geht. Wir selber sind auch "vom Weibe geboren und unter das Gesetz getan" wie Jesus. Wir sind und begegnen Menschen, die auch Kinder waren und die immer noch ihr eigenes inneres Kind in sich tragen - glücklich oder verletzt. Und je nach dem, was sie an sich selbst erlebt haben oder was sie betroffen gemacht hat in ihrer Umgebung, schützen sie Kinder oder bringen sie immer wieder in Gefahr.
Besonders die Männer müssen lernen, eine lebendige Beziehung aufzubauen zu dem, was heranwächst und neues Leben repräsentiert: die Zukunft unserer Welt. Nicht sprachlos werden, nicht davonlaufen, nicht vertreiben vor dem eigenen Lebens- und Machtanspruch, sondern dankbar annehmen, schützen, ernähren, achten und fördern. Wie wir mit Kindern umgehen, zeigt, wes Geistes Kind wir sind: ob wir Zacharias-, Josef- oder Herodes-Anteile in und mit uns herumschleppen; ob wir einfach sein können wie die Hirten oder weise wie die Sterndeuter. Die gehen einen anderen Weg, die bringen das Kind nicht in Gefahr und liefern es Herodes nicht aus.
Weihnachten feiern können wir nur dann in rechter Weise, wenn wir die Personen meditieren, die in diesem Weltendrama auftreten und sich in bestimmter Weise verhalten zu dem Kind. Von Johannes Scheffler, dem Angelus Silesius, stammt die Einsicht: "Wär' Christus nur in Bethlehem geboren und nicht in dir, du bliebst in Ewigkeit verloren." Weihnachten lehrt auch die Männer, empfängliche Menschen zu werden und Josefsqualitäten zu entwickeln. Ohne den Schutz des ungeborenen und geborenen Lebens werden wir nicht überleben können. Wir werden zu dieser Haltung nicht gezwungen. Es wird uns nur vor Augen geführt, was jedes Kind sich wünscht, das auch wir selber sind und bleiben: leben zu dürfen mit den Gaben unseres Lebens. Und wie die Alternative aussieht unter dem Schatten des Herodes: Klagen und Wehgeschrei über getötetes Leben, von dem die Welt voll ist - nicht nur in Rama. Die Weihnachtsgeschichte in Bethlehem setzt einen neuen Maßstab: Es geht auch anders - liebevoller, friedlicher, Kinder achtend.
In leicht überarbeiteter Form erschienen im Rheinischen Merkur Nummer 51/52 - 2006, Seite 26.