Max Wislicenus entstammt einer alten Gelehrtenfamilie, die urkundlich Ende des 15. Jahrh. aus der Gegend von Krakau über Ungarn nach Deutschland einwanderte und sich dort in Thüringen der Reformation anschloß, wo dann eine Reihe von Vorfahren in Naumburg und Umgebung als Pfarrer amtierten. Sein Großvater war ein geschätzter Arzt in Eisenach, ein Schüler und Freund Hahnemanns.
Max Wislicenus wurde in Weimar am 17. Juli 1861 geboren, wo sein Vater, Herrmann Wislicenus, eine Lehrstelle an der dortigen Kunstschule innehatte. Im Jahre 1867 erhielt der Vater durch das Preußische Kultusministerium einen Ruf an die Düsseldorfer Akademie, und so verlebte Max Wislicenus seine ganze Jugendzeit in Düsseldorf, wo er nach dem Gymnasium die dortige Akademie besuchte und einen Kreis hochbegabter Freunde fand.
Seine hauptsächlichen Lehrer waren Peter Janßen und vor allem Eduard von Gebhardt, dem er Zeit seines Lebens ein dankbares Gedenken bewahrt hat; denn dieser Meister hat - neben seinem Vater - ihm nicht nur Respekt vor der Kunst der Alten eingeflößt, sondern auch das ernste Streben nach harmonischem Zusammenklang. der Farben und vor allem nach unerbittlich strenger Zeichnung in ihm geweckt.
Nach Verlassen der Akademie als Meisterschüler Wilhelm Sohns ging er nach München, der Stadt seiner Sehnsucht. Dort hatte er wieder das Glück, einen Kreis hochbegabter junger Kollegen zu finden.
Damals heiratete er seine erste Frau, Else Freudenberg, die eine ungemein begabte Werkkünstlerin war und besonders durch ihre wunderbaren Perlstickereien bekannt wurde. Hier fand er mit seinen ersten größeren Bildern erfreulich gute Aufnahme in der Sezession, wie "Sinnender Tod", "Waldweib", "Post mortem laureatus" etc. Es war für ihn in Münden jene unvergeßliche Zeit höchsten künstlerischen Strebens, die auch ihn zur Anspannung aller Kräfte mitriß.
So war es erklärlich, daß das Preußische Kultusministerium auf ihn aufmerksam wurde und an die Kunstschule nach Breslau berief.
Als kurze Zeit darauf Poelzig als Leiter der zur Akademie für Kunst und Kunstgewerbe gehobenen Anstalt neben reinen Kunstklassen auch Werkstätten einrichtete, übernahm Wislicenus die Textilklasse unter der Bedingung, vornehmlich die Wiederbelebung der Wandteppichweberei in Deutschland versuchen zu dürfen. Ich wurde seine Assistentin. Nach vielen Studienreisen und strenger, ernster Arbeit in der Werkstatt gab es eine Ausstellung im Berliner Kunstgewerbemuseum, die einen überraschenden Erfolg brachte.
Deutschland fing an, sich für unsere Versuche zu interessieren. Besonders Poelzig, jetzt eben zum Stadtbaurat von Dresden ernannt, ebnete uns die Wege.
Wislicenus wurde aufgefordert, eine Gobelinweberei in Sachsen aufzubauen und zwar in dem damals leerstehenden Pillnitzer Schloß.
Das war ein beachtenswerter Erfolg. Aber er hatte bedauerlicherweise zur Folge, daß Max Wislicenus in Dresden nur noch als "Werkkünstler" galt, nie aber die gebührende Anerkennung als Maler fand!
Interessant bleibt jedenfalls die Tatsache, daß Max Wislicenus in allen Kunststädten Deutschlands gelebt hat, in Weimar, Düsseldorf, Münden, Breslau, Dresden, und so mancherlei Vergleiche anstellen konnte.
Seiner ersten Studienzeit in Düsseldorf und München hat er unbedingt seine Malkultur zu danken, denn oberflächliche Effekthascherei und billiges Draufgängertum lag ihm fern.
Ein Vorzug aber auch eine Gefahr war seine bemerkenswerte Vielseitigkeit, die ihn verführte, alles zu versuchen.
Neben seinen Kompositionen figürlichen Charakters, die ihm als das Erstrebenswerteste in der Kunst erschienen, hat er vor allem unzählige Bildnisse geschaffen und dabei stets mit voller Hingabe versucht, neben der charakteristischen Form auch das verborgene Innenleben, die Seele des Modells, zu geben.
Aber auch die Landschaft hat er bei seiner großen Liebe zur Natur in ihrem reichen Wechsel der Stimmungen studiert.
Nicht minder das Stilleben, das ihn zu technischen Versuchen besonders reizte. So existieren unzählige Studien von Blumen und Früchten, die in ihrem schlichten Realismus Zeugen seines Könnens sind.
Sein Leben lang war aber vor allem das Studium des menschlichen Körpers - in erster Linie des weiblichen Körpers - die herbe Schönheit - sein heißes Bemühen. Dies war das höchste Ziel seiner Kunst. Er gehört zu jenen schöpferischen Künstlern, die es drängt, zu schaffen, ohne an Anerkennung zu denken.
Vielleicht kommt noch einmal eine Zeit, wo man auch seiner Kunst gerecht wird und sich dann das Wort bewahrheitet, das er einem seiner frühesten Bilder, das - wie so viele - dem Krieg zum Opfer gefallen ist, zum Thema gab: Post mortem laureatus!
Wanda Bibrowicz-Wislicenus
(Sie schrieb diesen Text kurz vor ihrem Tod am 2. Juli 1954. Der Text wurde zur Dresdener Max Wislicenus Ausstellung 1955/56 veröffentlicht.)
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Max Wislicenus (1861-1957) wurde geboren in Weimar. Sein Vater Hermann war Historienmaler und Akademieprofessor in Düsseldorf. Max Wislicenus studierte 1880-1891 in Düsseldorf und München. Im Jahre 1894 heiratete er Else Freudenberg, im gleichen Jahr kam seine Tochter Gonhild zur Welt.
Im Jahre 1896 wurde Wislicenus durch das Preußische Kultusministerium als Lehrer an die Zeichen- und Malklasse der Königlichen Kunst- und Gewerbeschule in Breslau berufen. Er war dort bis 1919 tätig.
1900 wurde er zum Professor ernannt und übernahm die Klasse für Textilkunst. Wislicenus förderte und erhielt 1904 eine Werkstatt für Gobelinweberei. Er übertrug die technische Leitung seiner Schülerin Wanda Bibrowicz.
1908 entstand der "Künstlerbund Schlesien", dessen Mitgründer Wislicenus war. 1915 ging er (unter General Menges) für einige Monate in den russisch besetzten Teil Polens und malte dort Bilder vom Kriegselend.
Die Sächsische Regierung war an einer Belebung der Gobelinweberei in Sachsen interessiert und bot Wislicenus und Bibrowicz eine Unterstützung durch staatliche Aufträge an. Sie erhielten Arbeitsräume in einem Seitenflügel des Pillnitzer Schlosses bei Dresden. Im Jahre 1919 gründeten beide die "Werkstätten für Bildwirkerei Schloss Pillnitz".
Wislicenus lebte bis 1945 mit seine Frau Else in Hosterwitz in der Nähe von Dresden. Nach der Zerstörung der Stadt während des Krieges lebten beide bis zu ihrem Tod in den Atelierräumen. Nach dem Tod seiner Frau Else, 1948, schloß Wislicenus die Ehe mit seiner künstlerischen Freundin Wanda Bibrowicz.
Wislicenus übergab die Reste der "Werkstätten" 1955 der Staatlichen Kunstsammlung Dresden. Seiner eigenen Einschätzung nach ist etwa die Hälfte seines Lebenswerkes durch die Kriegseinwirkung vernichtet worden, ein Teil ist in Breslau, Schlesien oder Mitteldeutschland verschollen.
Am 25. Mai 1957 starb Max Wislicenus in Dresden-Pillnitz an Kreislaufversagen im Alter von fast 96 Jahren. Er wurde auf dem Friedhof "Maria am Wasser" in Dresden-Hosterwitz neben Else Wislicenus und Wanda Bibrowicz beigesetzt.