Im Herbst 1911 siedelte Wanda Bibrowicz nach Ober-Schreiberhau ins Riesengebirge. Hier richtete sie als reife 30-jährige Frau mit einer offenen Natur, aus der Güte und innere Wärme strahlten, für ihre nächste Familie ein Haus voller Harmonie und Ruhe ein. Sie lud ihre künstlerisch begabte Schwester Hela und ihre geliebte Mutter, die bis zum Lebensende bei ihr blieb, zu sich ein. Das Leben der Künstlerin wurde ruhiger, da sie die Belastungen und den emotionalen, auf ihre persönliche Situation in der Breslauer Periode zurückgehenden Zwiespalt hinter sich ließ. Die Kontakte mit Max Wislicenus hat sie nicht abgebrochen, sie löste sich jedoch von seinen familiären Problemen und zum Teil auch von seinem künstlerischen Einfluss.
Der ständige Kontakt mit der Natur, mit den Bergen wurde neben der Webkunst ihre zweite Leidenschaft. Im Sommer genoss sie die üppig blühenden Pflanzen und die Farbenvielfalt der Natur. Sie beobachtete freilebende Tiere und Vögel mit ihnen fast einen Dialog eingehend. Im Winter fuhr sie oft Ski, das brachte die für ihre Arbeit nötige Ausdauer. Man nannte sie sogar die "Schneekönigin". Ihre Aufgeschlossenheit der Welt und Menschen gegenüber erlaubte ihr in kürzester Zeit, neue und interessante Freunde zu gewinnen, die in Schreiberhau eine Künstlerkolonie bildeten. Darunter ist in erster Linie der Dichter und Lyriker Carl Hauptmann zu nennen, der Bruder des Nobelpreisträgers mit seiner ersten Frau Martha; die Freundschaft mit ihnen hielt bis zum Tod der Künstlerin an.
Zu diesem Kreis gehörten auch der bekannte Ökonom Werner Sombart, der Poet und Philosoph Wilhelm Bölsche, dessen Tochter später kurz bei Wanda in Pillnitz arbeitete, der Schriftsteller und Kritiker Hermann Stehr, die Komponistin, Pianistin und Pädagogin Anna Teichmüller, die Musik für einige Gedichte Carl Hauptmanns schrieb und einen großen Einfluss auf seine Lyrik hatte. Die Künstler trafen sich relativ häufig im Haus der Hauptmanns, sie bildeten jedoch keine "Schule". Der Gedankenaustausch in diesem intellektuell und geistig anregenden Kreis ermöglichte neue Erlebnisse, die wiederum Impulse für die eigene Arbeit mit sich brachten, ohne jedoch in sie unmittelbar einzugreifen. Kurz nach dem Umzug nach Ober-Schreiberhau eröffnete Wanda eine eigene - für die damalige Zeit - moderne Webwerkstatt, die später den Namen "Schlesische Werkstätten für Kunstweberei" erhielt und damit zur Entwicklung der Webkunst in dieser Region beitrug.
In die Arbeit der Werkstatt in Ober-Schreiberhau investierte Wanda viel Einfühlungsvermögen, Energie und strebte ein hohes Niveau an, um an die in Breslau begonnene Arbeit anzuknüpfen. Zusammen mit Wanda kam auch die ausgebildete Weberin Grete Zeht nach Breslau, mit der sie die Arbeiten an den ersten Kunsttextilien begann. In kürzester Zeit bildete sie selbst zwei neue Weberinnen aus und organisierte neben der Werkstatt eine kleine Galerie an der Wilhelmstraße 590, die von Gästen und Touristen oft besucht wurde. Kunstkenner und -liebhaber konnten in der Galerie und in der angrenzenden Werkstatt, in der Wanda die Gobelins aus Kisten und Schränken hervorholte und vor den Gästen ausrollte, viel Zeit verbringen. Die Werke stellten Stilleben und idyllische Tierszenen dar, die nach ihren eigenen Entwürfen entstanden. Z.B. schwarze Raben auf einem Schornstein vor dem Hintergrund eines feuerroten Abendlichts, von Katzen beobachtete rote Finken auf einem Tulpenbaum oder ein ängstlicher weißer Rabe auf einem gelben Baum neben seinen schwarzen Artgenossen.
Die gewebten Bilder waren farbenfroh gestaltet und mit subtilem Humor erfüllt. In den Werken findet man auch Motive aus Wandas neuer Bergheimat, zu der Ober-Schreiberhau für sie wurde und die sie für den gemütlichsten Ort auf Erden hielt. Umsäumt vom Riesengebirge gehörte für sie Ober-Schreiberhau zu den schönen Orten, sie fühlte sich hier wohl und sicher. Die Ruhe und innere Freude übertrug sie auf ihre Werke. Die Bewohner von Ober-Schreiberhau waren stolz auf ihre "in der ganzen weiten Welt" bekannte Künstlerin.
Carl Hauptmann war häufiger Gast in Wandas Galerie und Werkstatt. Er war ein Bewunderer ihrer Werke und schöpfte aus ihrer Atmosphäre Inspiration für seine Poesie. In seinen Memoiren schrieb er "Kunstkenner können in dem kleinen Salon in Ober-Schreiberhau und in der daran anschließenden, kleinen Werkstatt Stunde um Stunde verbringen und sich entzücken an Schätzen, die Fräulein Bibrowicz aus ihren heimlichen Schränken aufrollt".
In dieser Zeit erzielte die Künstlerin auch Erfolge im Ausland, man berichtete über sie in den wichtigsten deutschen Zeitungen, aber auch in Norwegen, Schweden, Holland. In der amerikanischen Presse erschienen Reproduktionen ihrer Gobelins. Mit ihren Werken schmückte man den neuen Sitz der Breslauer Verwaltung und andere repräsentative Säle. Dies war für ihr Schaffen ohne Zweifel eine fruchtbare Zeit, die ihr darüber hinaus ein Selbstwertgefühl gab und ihr geistiges Leben anreicherte. Aus künstlerischer Sicht betrachtet war dies die Zeit der reifsten Werke.
In den Entwürfen und Werken waren bisher Tiere die Haupthelden. In Ober-Schreiberhau erweiterte die Künstlerin die Themenpalette, sie führte Blumenelemente und naturalistische dekorative Formen im Geist des Jugendstils in die Kunstwerke ein, um schließlich im Ratzeburger Zyklus viel schwierigere technische und künstlerische Probleme zu beherrschen.
Am Anfang des 20. Jh. gab es nur wenige Kenner der Webkunst. Erworben und bevorzugt wurden eher billige Industrieprodukte, als dass man sich für einmalige aus authentischer individueller Imagination entstandene und hohe Handfertigkeit aufweisende Werke interessierte. Deswegen schrieb Carl Hauptmann mit Bedauern: "Freilich: wo man Glasperlen nicht von Rubinen unterscheiden kann, dort ist ein Handel mit Juwelen schwer möglich."
Unter Kunden allerdings beobachtete man ein fehlendes Interesse für das Kunsthandwerk, darunter auch für Kunsttextilien. Daher litten die Werkstätten unter erheblichen wirtschaftlichen Existenzproblemen. Große Aufträge staatlicher Institutionen wurden oft auf mehrere Jahre angesetzt, was keine Verdienstquelle ausmachen konnte. Um die Existenz einer Werkstatt zu sichern und eine Gruppe von ausgebildeten Weberinnen halten zu können, produzierte man auch Gebrauchstextilien, wie z.B. Handtaschen, Kissen, Decken und viele andere kleinere Objekte, deren Verkauf die Befriedigung alltäglicher Bedürfnisse sicherte. Viele dieser Arbeiten konnten, wiedergefunden und dokumentiert, vor dem Vergessen gerettet werden, da sie den Charakter von Dokumenten besitzen. In der Werkstatt führte man auch unter Mitarbeit oder Aufsicht von Wanda Projekte von Max Wislicenus aus.
Häufige Gäste in der Werkstatt waren Wandas alte Freunde aus Breslau, unter ihnen auch Max Wislicenus, Professor Poelzig, der bekannte Bildhauer Theodor von Gosen und die Maler aus dem Riesengebirge Heinrich Tüpke und Alfred Nickisch. Die Zusammenkünfte mit herausragenden Persönlichkeiten stimulierten die Aktivität der Künstlerin und mobilisierten sie zu weiteren künstlerischen Explorationen. Es war allerdings eine Zeit, in der sich Wanda Bibrowicz hauptsächlich auf ihre eigenen Projekte konzentrierte. Neben interessanten kleinformatigen Textilien entstanden damals auch monumentale Gobelins. Diese Periode gehört zu den fruchtbarsten.