von Hans Kessler
Nun spricht das NT von Auferstehung nicht nur im Tod, sondern auch längst vor dem Tod: von Auf(er)stehen mitten im Leben. Es ist voller Aufsteh-Geschichten.[1]
a) Der Bibel geht es nicht nur um ein Leben nach dem Tod, es geht auch um die Ermöglichung eines menschlicheren, gerechteren, volleren Lebens vor dem Tod. Dass Jesus (der nicht für sich gelebt, sondern anderen neues Leben ermöglicht hat) durch Gott auferweckt ist, besagt ja auch, dass er mit seiner Praxis in Kraft gesetzt ist. Es ist also die Veränderung, die sich in unserem Leben vollzieht, auf die es ankommt. Deswegen die Heilungs-, Aufrichtungs- und Befreiungs-Geschichten, in denen am Boden liegende Menschen sich wieder erheben, aufatmen, ihres Lebens wieder froh werden können, weil sie sich in ihrer Würde geachtet sehen und ihnen jemand beim Aufstehen hilft.
b) Das NT bringt (z. B. durch Symbolgeschichten von Totenerweckungen) zum Ausdruck: Durch Jesu Leben, Sterben und Auferstehung ist dem Tod der "Stachel" gezogen (1 Kor 15,44 ff.). Die scheinbar unbesiegbare Macht des Todes - die noch immer tobt und herrscht durch alle, die das Geschäft des Todes betreiben, - ist durchbrochen. Das ist von größter Bedeutung: Nun sind alle, die dem Totenerwecker-Gott trauen, nicht mehr den "Herren der Welt", die uns mit der Furcht vor dem Tod gefügig machen wollen, alternativlos ausgeliefert (Hebr 2,14 f.; Joh 16,33). Sie können sich ihnen widersetzen, können aufstehen und in den Fußstapfen Jesu anders leben.[2]
c) Die Auferstehungssprache bringt zum Ausdruck, dass das neue, befreiende Leben von Gott her bereits mitten im alten, falschen Leben anwesend und wirksam sein kann. Bei Marie Luise Kaschnitz finden sich schöne Beispiele dafür. Ihr Gedicht "Auferstehung" beginnt folgendermaßen: "Manchmal stehen wir auf / Stehen wir zur Auferstehung auf / Mitten am Tage / Mit unserem lebendigen Haar / Mit unserer atmenden Haut. / Nur das Gewohnte ist um uns. / Keine Fata Morgana von Palmen [...]"[3]
d) Schon neutestamentliche Autoren verwenden die Metaphorik des "Aufstehens" und "Auflebens" auch für die Umkehr, für das Aufwachen und Auferstehen des Sünders, für das Aufstehen derer, die den Exodus der Liebe hin zu den anderen wagen, und für die Aufrichtung mitten am Tag[4] (Lk 15,24.32: "dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden"; Kol 2,11-13; 3,1-4; Eph 2,5-7; 5,14: "wach auf, der du schläfst, steh auf von den Toten, und aufleuchten wird dir der Christus"; Joh 5,24 f.; 1 Joh 3,14: "wir sind vom Tod zum Leben hinübergegangen, wenn wir die anderen lieben"). Folgerichtig unterscheidet man seit Augustinus "duae resurrectiones" aus dem Tod: (1) die Auferstehung aus dem Tod des Egoismus (und Abgeschnittenseins vom Lebensgrund Gott) schon hier und jetzt; (2) die erst zukünftige volle Auferstehung aus dem physischen Tod.[5]
All die jetzigen - und seien es noch so kleine - Erfahrungen des Befreit-, Gerettet-, Aufgerichtet-, Erneuertwerdens und des Wieder-aufstehen-Könnens sind ein Stück "Erfahrung von Auferstehung" (vgl. Phil 3,10) mitten in Leid, Niederlage und Am-Boden-Liegen, sind ein Vorschein der gänzlichen Aufrichtung und Erneuerung. Christen, die unterdrückt sind oder die Unterdrückten aufhelfen, wissen etwas davon, wie viel Kraft zum Aufstehen der Auferstehungs-Glaube geben kann, auch mitten im Verwundetwerden und im Leiden, das man sich im Kampf gegen Unrecht und Leiden holen kann.
Die Auferstehungs-Metaphorik hat nach wie vor eine ungeahnte Aussagekraft. Wie andere unserer großen Wörter ist die Metapher "Auferstehung" unverzichtbar. Sie muss deshalb vom Boden aufgehoben, von Entstellungen gereinigt und in ihrer befreienden Kraft erschlossen werden. Dann kann das Wort Auferstehung wieder zum Brennpunkt einer bewegenden und hoffnungsvollen Botschaft werden, welche die menschlichen Ängste und Sprachlosigkeiten angesichts des Todes und der eigenen Endlichkeit bestehen, ja sie überwinden hilft.
Aus: Jenseits von Fundamentalismus und Rationalismus. Versuch über Auferstehung Jesu und Auferstehung der Toten, in: Hans Kessler (Hrsg.), Auferstehung der Toten. Ein Hoffnungsentwurf im Blick heutiger Wissenschaften, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004, S. 296-321, Zitate S. 316-317.