Gedanken zum Weihnachtsfest
von Peter Godzik
Alle Jahre wieder ist die Zeit reif für uns, dass der Christus neu geboren wird in uns und unsere Herzen verwandelt. Das gilt für das Leben des einzelnen, für unsere Familien und für die Gesellschaft, in der wir leben.
Wir machen viele Fehler im Laufe eines Jahres, laden Schuld auf uns, kommen vom Weg ab und irren umher. Da wird es Zeit, dass wir zurückfinden zum Grund unseres Lebens: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen."
Jedes Jahr wenigstens einmal zur Weihnachtszeit werden wir daran erinnert, worauf wir vertrauen können in unserem Leben, was uns wirklich trägt in einer dunklen und ungerechten Welt. Wieviele Menschen haben geseufzt in diesem Jahr, haben sich verloren und verlassen gefühlt im persönlichen, familiären und im politischen Leben. Und nun soll es wieder Weihnachten werden: "Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn ..."
Das heißt: Wir sind nicht allein. Uns begleitet Gottes Liebe. Sie will von neuem geboren werden in unseren Herzen und uns verwandeln zu Menschen seines Wohlgefallens: In der Weihnachtserzählung geht es um die einmalige geschichtliche Erfahrung: Jesus wird geboren von der jungen Frau Maria und lebt sein Leben unter den Bedingungen der damaligen Zeit mit ihren Vorschriften und Regelungen, ihren Gesetzen und Machtstrukturen.
Paulus bringt das auf den Begriff: "geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan". Diesen Satz könnten wir auch von jedem von uns sagen und darin die beiden Pole entdecken, zwischen die unser Leben eingespannt ist: Jeder trägt ein Stück vorbehaltlose Liebe in sich, das weibliche Prinzip seines Lebens, und jeder trägt ein Stück Gesetz in sich, das männliche Prinzip seines Lebens.
Symbolisch verdichtet finden wir diese beiden Prinzipien in zwei Gestalten der Weihnachtsgeschichte wieder: in Maria und Herodes. Auf der einen Seite die hingebungsvoll liebende Frau: "Mir geschehe, wie du gesagt hast." Auf der anderen Seite der machthungrige und um seine Sicherheit besorgte Mann: "Da das der König Herodes hörte, erschrak er ..."
In jedem von uns lebt ein Stück Maria und ein Stück Herodes: Wir versuchen, das Neue in uns zum Leben zu erwecken, den Christus in uns zu gebären. Und gleichzeitig sind wir besorgt, halten fest am Alten und Gewohnten, versuchen zu ersticken, was sich da an Neuem regt, weil wir Angst haben. "Geboren von einer jungen Frau und unter das Gesetz getan" - das beschreibt unser aller Situation. Und es ist die Frage, was am Ende den Sieg davon trägt - das Prinzip der Liebe oder das Prinzip der Sicherheit, die Maria oder der Herodes in uns.
Wenn wir uns die Welt anschauen, in der wir leben, dann spricht viel dafür, dass Herodes immer wieder gewinnt und die Oberhand behält - wenn wir unsere Besitzstände verteidigen auf Kosten anderer, wenn wir nicht teilen und abgeben können, weil wir den Verlust unserer Macht und unseres Einflusses fürchten. Aber der Herodes-Kultur in uns und um uns herum begegnet immer wieder das Wunder der Geburt. Ein Mensch wird geboren, nackt und bloß, hilflos und klein, auf unsere Fürsorge angewiesen. Und darin liegt am Ende doch die größere Kraft als im Festhalten und Sich-selbst-Behaupten.
Weihnachten lehrt uns, dem Leben mehr zu vertrauen als dem Tod, der Liebe mehr als all unserer Angst. Vielleicht liegt darin das ganze Geheimnis von Weihnachten: Es ist die Betrachtung einer Geburt in Liebe und Einfachheit, in der sich unser aller Sehnsucht ausdrückt: noch einmal geboren zu werden, noch einmal den Charme ungebrochenen Lebens zu entdecken in einer kalten berechnenden Welt.
Gott überwindet Herodes mit einem Kind, auf dass wir alle leben.
In: Dom-Informationen, Dezember 1996 - Januar 1997