Entschließung der Generalsynode und der Bischofskonferenz der VELKD
vom 21. Oktober 1988
Beitrag zur Diskussion
Sterbehilfe - Tötung auf Verlangen?
Viele bewegt heute aufgrund eigener Erfahrungen und Ängste die Frage, wie menschenwürdiges Sterben möglich ist. Die Generalsynode hat sich daher schwerpunktartig der öffentlichen Diskussion gestellt, die sich mit dem Stichwort "Sterbehilfe" verknüpft.
Für Christen ist Sterbehilfe Hilfe beim Sterben, nicht aber zum Sterben. Denn das Leben ist eine Gabe Gottes. Der Mensch darf über diese Gabe nicht nach eigenem Gutdünken verfügen. Wir treten nicht aus eigenem Vermögen ins Leben und bestimmen auch nicht sein Ende. Auch in der Begegnung mit leidvollem Sterben leitet uns die biblische Einsicht: "Meine Zeit steht in deinen Händen!" (Psalm 31,16)
Der Wunsch nach humanem Sterben ist verständlich. Er wird aber in Mißkredit gebracht, wenn sich der Begriff der Sterbehilfe mit dem Angebot der Tötung auf Verlangen verknüpft. Zum Humanum gehört es, sich auch dem Elend zu stellen, das mit dem Sterben verbunden sein kann.
Die wichtigste Hilfe zu einem Sterben, das der Würde des Menschen entspricht, ist die ganzheitliche Begleitung durch Angehörige und Freunde, Ärzte und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Pflegedienst und durch die Seelsorger. Sterbehilfe in christlichem Sinne setzt voraus, daß wir uns in gesunden Tagen unserer Sterblichkeit bewußt werden und uns auf die Begleitung Sterbender vorbereiten. Dem ist in der Ausbildung der ärztlichen und pflegerischen Berufe wie in der Arbeit der Gemeinde mehr Gewicht zu geben.
Aufgabe des Arztes ist es, Leben zu erhalten. Darin ist das Vertrauen begründet, ohne das ärztliches Handeln nicht möglich ist. Dieses grundlegende Ethos des Arztes darf nicht verdunkelt werden.
Aufgrund der Fortschritte in der Intensivmedizin kann jedoch diese Verpflichtung des Arztes zur Lebenserhaltung ungewollt zu einer qualvollen Verlängerung des Sterbens führen. Erleichterung beim Sterben kann in einer solchen Situation bedeuten, daß der Arzt in verantwortlicher Entscheidung auf mögliche medizinische Maßnahmen, die den irreversiblen, d. h. unumkehrbaren Sterbeprozeß nicht mehr aufhalten können, verzichtet. Eine solche Entscheidung hat sich am Willen des Patienten und am Ethos des ärztlichen Handelns zu orientieren. Ist der Patient an einer Mitwirkung gehindert, so muß der Arzt im wohlverstandenen Interesse des Patienten handeln. Dabei ist der Rat der Kollegen und das Gespräch mit den Angehörigen wichtig.
Gewisse medizinische Maßnahmen der Sterbeerleichterung, z. B. die Verabreichung von starken, schmerzstillenden Mitteln, können indirekt zu einer Verkürzung des Sterbevorganges führen. Wenn der Arzt das Augenmerk auf die Schmerzlinderung beim Sterben richtet, müssen nach Abwägen aller Umstände damit verbundene indirekte Folgen hingenommen werden. Solche Situationen sind unvermeidlich eine Belastung des ärztlichen Gewissens. Deshalb wird der Arzt seine Absicht sorgfältig prüfen. Die Entscheidung in der Bindung des Gewissens kann ihm niemand abnehmen. Es kann ihm aber eine Hilfe sein, wenn er sich mit seiner Entscheidung von der Gnade Gottes getragen weiß.
Eine gezielte Beschleunigung des Sterbevorgangs kann als Grenzüberschreitung zur sogenannten aktiven Sterbehilfe nicht akzeptiert werden. Jede Form der Tötung auf Verlangen ist aus grundsätzlichen Erwägungen abzulehnen. Die aktive Beendigung des Lebens, auch wenn es schmerzgeplagt ist, verstößt gegen Gottes Gebot. Kein Arzt, Sterbebegleiter oder Angehöriger darf sich zum Herrn über Leben und Tod erheben. Alle sind gerufen, im Sterben beizustehen und zu begleiten. Auch begreifliches Mitleid mit schwerem Leiden darf uns nicht dazu bewegen, den Tod des Leidenden aktiv herbeizuführen. Bestrebungen, die Tötung auf Verlangen in Grenzfällen nicht mehr unter Strafe zu stellen, sind abzulehnen. Sie weichen die für den Schutz des Lebens grundlegenden ethischen und rechtlichen Normen auf. Sie führen zu einer Verunsicherung bei Kranken, Angehörigen, Ärzten und Menschen in Pflegeberufen.
Wünsche von Patienten nach Beihilfe zur Selbsttötung enthalten eine Aufforderung zu noch intensiverer Begleitung und Zuwendung. Auch wenn Beihilfe zur Selbsttötung strafrechtlich nicht geahndet wird, ist sie ethisch nicht vertretbar.
Wer das Recht auf Selbsttötung bejaht, verfehlt den Auftrag des Menschen, sein Leben in Verantwortung vor Gott zu leben und auch Schmerz und Leid als menschliche Aufgabe anzunehmen.
Wir verkennen nicht, daß es extreme Situationen des Sterbens geben kann, in denen wir in der Tiefe angefochten werden und mit unserer menschlichen Kraft zu zerbrechen drohen. Es ist uns aber verheißen, daß Gott denen nahe sein will, die ein zerbrochenes Herz und ein zerschlagenes Gemüt haben. (Psalm 34, 19) Diese tröstliche Zusage gilt gerade auch den Sterbenden und allen, die sie begleiten.
Aus: Peter Godzik/ Jürgen Jeziorowski (Hg.), Von der Begleitung Sterbender. Referate und Beschlüsse der Generalsynode der VELKD in Veitshöchheim 1988, Hannover 1989, S. 157-160.