Die Grundsteinlegung
Bei der Verwirklichung des Bauplanes am ausgewählten Bauplatz war die wichtigste Aufgabe des geistlichen Bauherrn und des Architekten die Festlegung der West-Ost-Achse. Sie geschah in einer sternklaren Nacht, wenn der Nordstern zu sehen war. Hatte man erst mit Pfählen, auf die Lichte gesteckt wurden, die Nord-Süd-Richtung ermittelt, dann war die Bestimmung der liturgischen West-Ost-Achse leicht.
Bei der Orientierung sollte die Weltordnung auf den von Natur unausgerichteten Bauplatz herabgezogen werden, indem auch er nach den vier Himmelsrichtungen aufgeteilt wurde. Wichtiger als die Richtung der Weltachse (Cardo) wurde im christlichen Zeitalter die Ost-West-Linie (Decumanus) mit der Blickrichtung auf Jerusalem. Mit wenigen Maßen auf der Längsachse (Decumanus) und senkrecht dazu auf der Nord-Süd-Linie (Cardo) waren nach Art der Koordination alle Abmessungen gegeben. Dabei waren die Breitenmaße als eine Funktion der Längenmaße durch die 30°-Schrägen so leicht zu ermitteln, dass es nahe liegt, den zahlenmäßigen Grundgedanken der Entwurfsgestaltung als Ausgangspunkt der Verpflockungsarbeit anzunehmen. Die römische Feldmesspraxis hat den mittelalterlichen Kirchengrundriss über den Weg des Symbols beeinflusst: Achsenkreuz gleich christliches Kreuz, 30°-Schrägen gleich Crux decussata, Orientierung usw. Dadurch entstehen Wechselbeziehungen zwischen Grundrissvermessung und Grundrissentwurf.
Die Verpflockung der wichtigsten Punkte des Planes erfolgte sicher mit einem besonderen Zeremoniell. Eine Vorstellung von diesen feierlichen Handlungen erlaubt noch das Pontifikale der römischen Kirche, nach dem die Konsekration eines Gotteshauses vollzogen wurde und auch heute noch geschieht. Danach werden die Diagonalen im Geviert der Kirche durch Aschenstreifen markiert, und der Bischof kratzt in sie das griechische und danach das lateinische Alphabet ein. Das liegende Kreuz gilt als Bannmittel gegen die Mächte der Dämonen. Damit wird deutlich gemacht, dass Gott von diesem Platz Besitz ergriffen hat. In ähnlicher Weise mag auch im hohen Mittelalter schon der Standort der zu erbauenden Kirche bezeichnet und gesegnet worden sein.
Es gehört zum geschichtlichen Bild von St. Michaelis, sich vorzustellen, wie Bernward - Bischof und Graf -, der hochgebildete, strenge, nur selten heitere Sachse, der demütige Diener seiner Christengemeinden, der sich trotz aller Mühsal und Sorge in unruhigen Zeiten nur wenig Ruhe gönnte, in einem liturgischen Gewand, wie ihn das kostbare Evangeliar des Domschatzes zeigt, nächtens unter gregorianischen Gesängen das Geviert seiner geplanten Gottesburg auf dem bis dahin bewaldeten und wilden, nun aber schon gerodeten Hügel mit segnenden Gesten umschritt.