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Tübinger Erklärung vom Februar 1992

Wie alle Hospizinitiativen sehen auch die evangelischen und ökumenischen Hospizinitiativen zusammen mit bestehenden Einrichtungen der Sorge für Kranke und Sterbende ihre Aufgabe in der Verbesserung der Situation sterbender Menschen und ihrer Angehörigen. Die seit einigen Jahren auch in Deutschland stark wachsende Zahl der Hospizgruppen bemüht sich dazu um eine Thematisierung des Themas "Sterben" in der Öffentlichkeit und um eine Stärkung, Verbesserung und Ergänzung der diakonischen, kirchlichen und kommunalen Dienste. Von ihren unterschiedlichen Ausgangspunkten her setzen die Gruppen bei diakonischen Einrichtungen wie Diakonie-/Sozialstationen, Alten- und Pflegeheimen und Krankenhäusern sowie in Kirchengemeinden an. Von diesen verschiedenen Ansätzen her ergeben sich sehr verschiedene Formen der Hospizarbeit, wie einige Beispiele zeigen:

Tropenklinik Paul-Lechler-Krankenhaus, Tübingen

Dieses evangelische Krankenhaus leistet im Rahmen seiner Arbeit als Krankenhaus der Grundversorgung und als Fachklinik für Tropenmedizin eine in vielen Punkten einem Hospiz vergleichbare Arbeit. Der Pflege und Begleitung schwerkranker Patienten dient ein Konzept prophylaktischer Schmerztherapie und der psychischen und seelsorgerlichen Begleitung. Die Angehörigen der Kranken werden weitgehend in diese Begleitung mit einbezogen; sie können so auch über Nacht im Krankenzimmer bleiben. Die Ausstattung des Raumes mit privaten Gegenständen wird ermöglicht, damit ein möglichst vertraute Atmosphäre für den Sterbenden entstehen kann.

Neben diese in die Krankenhausarbeit integrierten Bemühungen tritt ein ambulantes Projekt "Häusliche Betreuung Schwerkranker". Dieses Projekt unterstützt und ergänzt die Arbeit der Diakonie- und Sozialstationen. Ein hauptamtliches professionelles Team vermittelt vor allem Sitz- und Nachtwachen (bezahlte Fach- und Laienpflegekräfte) für die Betreuung von Schwerkranken zu Hause. Daneben wird auch die Hilfestellung einer Projekt-Psychologin angeboten. Ausbildung und Einsatz ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können möglicherweise mittelfristig in das laufende Projekt mit einbezogen werden.

Hospiz Herborn e.V.

Der evangelische Gemeinschaftsverband plant seit 1987 die Einrichtung eines eigenen Hospizgebäudes mit 20 Plätzen. Entstanden ist dieser Plan auch aus der Erfahrung, daß für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Altenheim des Verbandes nicht genügend Zeit blieb, um sich in angemessener Weise den Sterbenden widmen zu können. Nachdem der Bau eines Hospizgebäudes aus Kostengründen zunächst schwierig schien, wurde eine Station des Altenpflegeheimes mit Hilfe von Spendengeldern in eine Hospizstation ("Emmaus-Station") mit sieben Zimmern umgewandelt. Die Einrichtung eines Hausbetreuungsdienstes folgte als zweiter Schritt auf diesem Weg nach. Ziel der Emmaus-Station des Altenheimes ist es, wo dieses möglich scheint den sterbenskranken Patienten - bisher zumeist AIDS- und Krebspatienten sowie Apalliker - den Übergang aus dem Krankenhaus in die familiäre Pflege zu ermöglichen bzw. alleinstehenden Patienten oder solchen, deren Angehörige sich überfordert fühlen, eine letzte menschliche Geborgenheit zu geben. An die Stelle einer kostenintensiven medizinischen Vollversorgung tritt eine personalintensive menschliche Zuwendung, an der auch Angehörige und ehrenamtliche Helferinnen mitwirken. Die Zielsetzung des Hausbetreuungsdienstes ist, den sterbenden Patienten auch zuhause eine gleiche Betreuung zu gewähren, wie sie auf der Station erhalten haben. Die Angehörigen der Kranken werden daher weitestmöglich mit in diese Bemühungen einbezogen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen allerdings, daß sich die Angehörigen mit der Pflege zumeist überfordert sehen. Wieweit das Konzept der Hausbetreuung daher zu verwirklichen sein wird, scheint noch fraglich. Als nächste Aufgabe wird eine intensivere Koordination der eigenen Angebote mit der Arbeit der Sozialdienste gesehen.

Arbeitsgemeinschaft Hospiz. Begleitung Sterbender und ihrer Angehörigen der Ev. Gesamtkirchengemeinde Stuttgart, der Ev. Diakonissengesellschaft Stuttgart und der Ev. Gesellschaft Stuttgart

Das Ziel der Arbeitsgemeinschaft Hospiz ist es, Sterbende und ihre Angehörigen in der letzten Lebenszeit und danach zu begleiten und sie zu unterstützen. Über ein regelmäßig besetztes Hospiztelefon kann die Begleitung für sterbende Menschen und ihre Angehörigen beim Hospizdienst angefordert werden. Die Begleitung geschieht durch ein Team von geschulten freiwilligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Diese Gruppe erhält eine regelmäßige Begleitung, Supervision und seelsorgerliche Unterstützung. Neben die Begleitung der Sterbenden tritt eine Unterstützung der Angehörigen in der Trauerzeit durch Angebote von Einzelgesprächen, offenen Gesprächsgruppen und Veranstaltungen. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit liegt auf einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit. Die Erfahrungen aus dieser ambulanten Arbeit haben in Stuttgart zu der Einsicht geführt, daß eine weitere Ausbreitung der ambulanten Arbeit nur durch die Einrichtung eines stationären Hospizes möglich werden wird.

Ev. Hilfswerk der Kirchengemeinden der Stadt Rendsburg

Die Gemeindekranken- sowie die Haus- und Familienpflege der Kirchengemeinden der Stadt Rendsburg wird von einem Team von ungefähr 70 Hauptamtlichen geleistet. Von diesem Team wurden seit längerem auch Sterbende zuhause begleitet, die Abrechnung einzelner Arbeitsstunden erfolgte über das GRG § 37,1 (Verkürzung von Krankenhaus-Verweildauer) auf Anweisung des behandelnden Arztes. Da sich zeigte, daß diese Arbeit aber im Rahmen des von den Hauptamtlichen zu Leistenden nur schwer in angemessener Weise durchzuführen war - so waren alleinlebende Sterbende trotz mehrfacher täglicher Besuche gegen ihren Willen häufig doch allein - wurde um ehrenamtliche Mithelferinnen und -helfer geworben. Durch Veranstaltungen wurden 50 Interessierte gewonnen, die sich zurzeit zumeist noch in der Ausbildung befinden, regelmäßig zusammenkommen und bereits in der Öffentlichkeitsarbeit aktiv sind. Ihr weiterer Einsatz ist zur Zeit vor allem zur Unterstützung von pflegenden Familien geplant.

Da eine umfassende Betreuung der oben erwähnten Singles im Rahmen der ambulanten Arbeit auch unter Mithilfe von Ehrenamtlichen praktisch kaum möglich scheint, wird in Rendsburg die Einrichtung einer stationären Hospizeinheit mit 6-8 Betten geplant. Die Öffentlichkeitsarbeit für diese Einrichtung ist soweit gediehen, daß eine Finanzierung über Spenden sowie Unterstützung aus Diakonie und Kirche schon jetzt als gesichert erscheint.

Hospizhilfe des Dekanates Wiesloch

Die Hospizhilfe des Dekanates ist aus Erfahrungen der Gemeindearbeit heraus erwachsen. Wut und Trauer über die Tatsache, wie die Diagnose "unheilbar krank" mitgeteilt wird und auch darüber, wie oft gestorben werden muß, gaben den Anstoß zu dieser Arbeit; die Erfahrung, wie wenig dazu gehört, ambulante Sterbebegleitung zu organisieren und wieviel damit zu einem menschenwürdigeren Sterben beigetragen werden kann, gaben ihr die weitere Kraft. In einer Planungsphase machte sich eine Projektgruppe Gedanken darüber, was Christen im Rahmen eines Kirchenbezirks hier tun können. Dieser Projektgruppe gehörten zehn evangelische und katholische Teilnehmer an, die in ihrem Berufsalltag mit dem Sterben konfrontiert sind (Leiterin einer Sozialstation, Gemeindepfarrer, ein Klinikseelsorger, ein niedergelassener Arzt, eine Leiterin eines Diakonischen Werkes auf Bezirksebene, ein Altenheimleiter u.a.).

Nachdem ein Konzept entstanden und vom Badischen Oberkirchenrat begrüßt worden war, wurde vom Kirchenbezirk eine halbe Stelle dafür eingerichtet. Die Arbeit der Hospizhilfe ist ambulant, die Einrichtung auch einer stationären Einheit wird mittelfristig nicht ausgeschlossen. Da die Hospizhilfe die Sterbebegleitung als urchristliche Aufgabe versteht, soll sie mit engem Bezug zu den Gemeinden und als Ergänzung zu den anderen Diensten ausgeführt werden. :

Die praktische Arbeit stützt sich auf fünf Säulen:

  • Informationsarbeit in den Gemeinden: neben Einzelveranstaltungen und Arbeitshilfen für Gemeindekreise treten noch über sechs Abende angebotene "Grundseminare". Sie sollen dazu beitragen, daß das Thema "Sterben und Tod" wieder enttabuisiert wird.
  • Angebote für Ärzte und Schwestern: Ärzte informieren über Möglichkeiten der Schmerztherapie, Hausärzte und Gemeindeschwestern treffen sich zu Gesprächen.
  • Anlaufstelle für Kranke und Angehörige: hier finden die Betroffenen, aber auch Angehörige und Pflegende (auch professionelle) Gesprächspartner.
  • Diakonische Dienste:
    • Gesprächskreis für pflegende Angehörige (angekoppelt an die jeweilige Diakonie-/Sozialstation)
    • Telefonkette
    • Trauerbegleitung
    • Begleitung zur Klinik bei Bestrahlungsterminen
  • Ausbildung und Einsatz von Hospizhelferinnen und -helfern: Auf die sechswöchige Grundausbildung folgt nach einem Auswertungsgespräch eine Aufbauausbildung, an die sich, wo nötig, begleitende Besuche in einem Altersheim anschließen. Erst nach einem weiteren Auswertungsgespräch werden die Mitarbeiter zu Einsätzen in die Familien vermittelt. Die Hospizhelfer verpflichten sich (nach unentgeltlicher Ausbildung) zu einem ehrenamtlichen Einsatz für zwei Jahre bei zwei bis vier Stunden pro Woche, sie stehen unter Schweigepflicht und erhalten bei Bedarf Supervision. Dabei reicht der Einsatz über die Sterbebegleitung hinaus auch zur Trauerbegleitung in den betroffenen Familien.

Die Hauptprobleme der Arbeit liegen zurzeit in einem zu hohen Bedarf an Begleitung sowie in einer mittelfristig unklaren Finanzierung. Das Katholische Dekanat will sich beteiligen, längerfristig ist eine engere Kooperation geplant. Zu einem neuerrichteten stationären Hospiz der Vincentinerinnen in Heidelberg bestehen Verbindungen.

Gemeinsam ist diesen äußerlich verschiedenen Gruppen die Integration von ehren- wie hauptamtlichen Mitarbeitern, das Bemühen um Schmerztherapie und um Aus- und Fortbildung sowie um die Begleitung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Gemeinsam ist ihnen weiter ein ganzheitlicher Ansatz, der sich im Eingehen auf Heil wie Pflege, auf psychische wie physische Bedürfnisse der Sterbenden, in der Verbindung von stationärer und ambulanter Arbeit und von diakonischen Einrichtungen und Kirchengemeinden ausdrückt. Die Ermöglichung des Sterbens zuhause ist dabei ein besonderes Anliegen der Hospizbewegung.

Die weitere Verbreitung und die Fortführung der Hospizarbeit stößt heute an Grenzen. Diese Grenzen werden sich nur durch eine Verbesserung des Informationstransfers zwischen den Gruppen und die Schaffung geeigneter sozialpolitischer wie finanzieller Rahmenbedingungen überwinden lassen. Dazu haben die auf der Klausurtagung "Hospiz" des Diakonischen Werkes der EKD versammelten Vertreter aus Diakonie und Kirche sowie aus verschiedenen Bereichen der Hospizarbeit für nötig erkannt:

1. Regionale Ebene

1.1. Diakonische Werke

Auf der regionalen Ebene könnten die gliedkirchlichen Diakonischen Werke die Arbeit der Hospizinitiativen unterstützen und fördern, indem sie folgende Angebote machen:

  • Fachberatung der verschiedenen Hospizinitiativen
  • Ausbildungsangebote für die Multiplikatoren der Hospizhelferausbildung und für die Helferinnen und Helfer selber
  • Hilfe bei der Bekanntmachung der Hospizarbeit in der Öffentlichkeit
  • Vertretung der Interessen der Hospizinitiativen bei den Ländern und Kommunen
  • Finanzielle Hilfen (z.B. Hilfe als Anschubfinanzierungen)

1.2. Kirchen und Gemeinden

Als mögliche Aufgaben der Kirchen und Gemeinden wurde erkannt:

  • Anerkennung und Aufnahme der Hospizarbeit als kirchlicher Arbeit
  • Hilfe bei der Öffentlichkeitsarbeit
  • Finanzhilfen (z.B. durch direkte Unterstützung einer Hospizinitiative durch einen Kirchenbezirk wie im Fall der Arbeitsgemeinschaft Hospiz in Stuttgart)
  • Entsendung von Seelsorgerinnen und Seelsorgern in die Hospizarbeit und Verstärkung der Sterbeseelsorge in den Gemeinden.

2. Auf Bundesebene

2.1. Diakonisches Werk der EKD

Auf Bundesebene könnte die Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland in folgenden Bereichen helfen:

  • Unterstützung bei der Schaffung eines sozial- und finanzpolitischen Rahmens, der die Verwirklichung des Hospizkonzeptes sicherstellt. Dabei ist gegenüber dem Bund insbesondere an das KHG, an das SGB V und an gesetzliche Regelungen zur Sicherung des Pflegerisikos zu denken. In Kooperation mit den Krankenkassen sind unter anderem Standards für die Hospizarbeit zu erarbeiten und deren Finanzierung festzulegen.
  • Informationsarbeit in den Bereich der diakonischen Arbeit hinein:
    • Veranstaltung von jährlichen Tagungen, die bei einem klaren christlichen Profil offen für alle Interessenten sind.
    • Erstellung und Verbreitung eines Informationsblattes, in dem sowohl über die Arbeit der evangelischen wie ökumenischen Hospizgruppen wie über für die Hospizarbeit relevante sozial- und finanzrechtliche Themen informiert wird.
    • Verbreitung der Darstellung von modellhaften Hospizinitiativen in betroffene Arbeitsbereiche von Diakonie wie Kirchengemeinden als Anstoß zur eigenen Aufnahme der Hospizarbeit.
  • Hilfen in Ausbildungsfragen durch die Diakonische Akademie durch
    • Schulung von Multiplikatoren für die Hospizarbeit
    • Hilfen beim Erfahrungstransfer mit verschiedenen Ausbildungsmodellen
    • Sensibilisierung von Teilnehmerinnen und Teilnehmern an den Ausbildungsangeboten der Akademie für die Möglichkeiten wie für die Bedürfnisse der Hospizarbeit
  • Einrichtung einer zentralen Ansprechstelle für die Hospizarbeit mit der Aufgabe der
    • Beratung entstehender wie bestehender Hospizgruppen, Sammlung von Hospizinformationen und Hospizmodellen sowie von Anschriften und Charakteristika der evangelischen und ökumenischen Hospizinitiativen im Bereich der Bundesrepublik. Dazu käme die
    • Pflege internationaler Kontakte, sowie die
    • Förderung des Gesprächs zwischen Theologie, Medizin und Pflege. Weiter wären auch die sich mit der Hospizarbeit eröffnenden
    • Möglichkeiten des Gemeindeaufbaus hier zu bedenken und mit dem Ziel einer besseren Vernetzung von bestehenden Hospizinitiativen und Kirchengemeinden sowie zu einer Anregung der Gemeinden selber zu verbreiten.

2.2. Kirche(n)

Diese Relevanz der Hospizarbeit für den Gemeindeaufbau wäre im Bereich der evangelischen Kirchen auf Bundesebene durch Überlegungen zur Theologenaus- und Fortbildung zu fördern. Im Bereich der evangelischen Akademien, der Pastoralkollegs wie der kirchlichen Ausbildungsstätten sollten Angebote zur seelsorgerlichen Begleitung von haupt- wie ehrenamtlichen Hospizmitarbeiterinnen und -mitarbeitern aufgenommen werden.

Auch auf Bundesebene sollte die Hospizarbeit von den Kirchen so anerkannt und aufgenommen werden, daß deutlich wird: Hilfe für die Sterbenden und ihre Angehörigen, wie sie von den Hospizinitiativen intendiert und geleistet werden, ist von jeher und bis heute eine zentrale Aufgabe wie eine Chance für die christlichen Kirchen.

Beschluß

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Klausurtagung erklären sich bereit, eine

Arbeitsgruppe "Begleitung Schwerkranker und Sterbender und ihrer Angehörigen in Zusammenarbeit mit den Hospizinitiativen"

zu bilden. Diese AG bildet beim Kirchenamt der EKD oder der Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes der EKD ein Forum, auf dem sich Kirche und Diakonie sowie Fachverbände und Hospizinitiativen begegnen können und miteinander die genannten Aufgaben (insbesondere 2.1.) begleitend und beratend weiterentwickeln wollen. Die Vertreterinnen und Vertreter aus Fachverbänden und Hospizinitiativen, die an der Klausurtagung teilgenommen haben, erklären sich bereit, in dieser Arbeitsgemeinschaft mitzuarbeiten.

Tübingen, den 20. Februar 1992