Getröstet durch Lieder von Paul Gerhardt

 

Liebe Gemeinde!

In diesem Jahr haben wir mit einer Reihe von Vorträgen, einer Gemeindeveranstaltung und einem Gemeindefest des 400. Geburtstages von Paul Gerhardt gedacht. Bei den Vorbereitungen dazu bin ich auf eine Lesefrucht[1] gestoßen, die ich heute mit Ihnen teilen möchte. Es sind Gedanken von Renate Voswinkel, Landespfarrerin i.R. in der Evangelischen Kirche im Rheinland. Ich habe sie für unseren Zweck leicht gekürzt und überarbeitet. Sie schreibt:

Wir alle haben eine Geschichte mit dem Thema „Trost“. Wir haben Menschen erlebt, die uns trösten wollten und dabei eher das Gegenteil bewirkten, aber glücklicherweise gab es auch andere, die hilfreich für uns da waren und an die wir uns dankbar erinnern.

Es lohnt sich nachzuspüren: Wer oder was hat mich im Leid am besten getröstet? Dabei werden wir entdecken, dass Trosterfahrungen, die uns im Gedächtnis geblieben sind, uns auch helfen, wenn wir andere trösten möchten.

Trost ist immer dort notwendig, wo es einen Verlust in unserem Leben gibt, wo eine Hoff­nung stirbt, wo ein Traum unerfüllt bleibt, wo das Selbstbild zerbricht, wo uns ein Mensch genommen wird, wo wir keine Zukunft mehr sehen, wo die Angst die Zuversicht zerstört, wo wir im Zweifel an Gott versinken.

Paul Gerhardt ist im Umgang mit Trostlosigkeit und dem Geschenk wunderbaren Trostes ein überaus erfahrener Mann. Ihm wurden schwerste Verluste und schlimme Erfahrungen zuge­mutet: Verlust seines Pfarramts, Verlust seiner Frau, Verlust von vier seiner fünf Kinder und ein Leben im 30jährigen Krieg. Ungewissheit und Trostlosigkeit waren ihm vertraut.

Als junger Mann hatte er gedichtet: „Er reißet durch den Tod, durch Welt, durch Sünd, durch Not, er reißet durch die Höll, ich bin stets sein Gesell“ (EG 112,6). Diese Worte konnten ihm selbst in tiefster Leiderfahrung später zum Trost werden.

26 seiner 139 Lieder sind noch im Evangelischen Gesangbuch vertreten. Im Schatz dieser Lieder ist er auch als getrös­teter Tröster zu entdecken. Seine Lieder sind Ausdruck eines Prozesses, in dem Sehnsucht und tiefe Trauer durchlebt und durchbetet wur­den. Auf seinem inneren Weg ist die biblische Botschaft sein Halt und der tragende Grund für seine Seelsorge in den Liedern.

Er ist der Dichter mit den meisten Trostlie­dern. Er selbst ließ sich nicht billig vertrösten. Er war aufrecht und flüchtete in Zweifeln und Ängsten nicht in Verallgemeinerungen. Oft ist seinen Texten abzuspüren, wie er um Gewissheit und Trost ringt und, ähnlich wie in den Psalmen, im Gebet in den Trost und „nach Hause“ findet. Als aufrechter und kritischer Theologe erhielt er auch durch das Gebet die Kraft, in Konflikten standzuhalten und Ungerechtigkeit zu ertragen.

Er lädt uns ein, den Erfahrungen der glau­benden Gemeinde und den Verheißungen zu vertrauen und dann die eigenen Erfahrungen damit zu machen und in ihnen Trost zu suchen und zu finden: „Gott hält sein Wort mit Freuden und was er spricht, geschieht“ (EG 302,4).

So sind seine Lieder Bekenntnisse und daraus erwachsene Gebete. Oft beginnt er mit einem Gotteslob, beschreibt die Gegenwart Gottes im Alltäglichen und führt uns über das Staunen zur inneren Vergewisserung in ungewisser oder ganz trostloser Zeit.

Dabei rührt uns seine reiche Bildsprache in der Tiefe an. Sie erreicht uns in unseren Grunderfahrungen, vor allem in der des „inne­ren Kindes“, das sich ungeborgen und verlassen fühlt. „So lass mich doch dein Kripplein sein; komm, komm und lege bei mir ein, dich und all deine Freuden“ (EG 37,9).

Die Kirche hat seine Lieder als einen reichen Schatz durch die Jahrhunderte hindurch be­wahrt. Oratorien fassen in seinen Chorälen die Botschaft zusammen. Gottesdienste werden davon geprägt. Und die Lieder werden im Alltag gebetet, in großer Not, viel an Sterbebetten ge­sungen. In den Lobliedern vergewissern wir uns des kommenden Trostes und lassen uns in ein stilles dankbares Staunen führen.

Paul Gerhardt wirkt als Seelsorger weiter. Seine Lieder leuchten Menschen im richtigen Moment als Gebets- und Trostworte aus der Erinnerung auf und wirken in der Tiefe heilend und bergend. Das Geheimnis tröstender Seelsorge ist die Bereitschaft, sich vor dem Trost für andere selbst als trostbedürftig ernst zu nehmen. Gerade weil er durch tiefes Leid ging, hilft Paul Gerhardt uns, vorschnellen Vertröstungen und Beschwichti­gungen zu widerstehen. Er begleitet uns, wenn wir seine Lieder unter Tränen singen und beten.

Im Neuen Testament hat das griechische Wort für trösten parakalein die Bedeutung von herbeirufen, einladen, zur Hilfe auffordern, ermutigen, trös­ten, ein gutes Wort zusprechen. Wir dürfen und sollen im Leid jemanden an unsere Seite rufen, einen Menschen und dann auch den Parakleten, den Heiligen Geist, den Beistand und Tröster (Joh 14,26).

So rufen wir in den Liedern des getrös­teten Trösters den alten erfahrenen Seelsorger Paul Gerhardt herbei und bringen unseren Le­benskummer mit seiner Glaubenserfahrung ins Gespräch, indem wir

Die Paul-Gerhardt-Lieder sind Ausdruck eines Trauerpro­zesses, der nur darum so möglich ist, weil nicht erwartet wird, dass Gott den Grund der Trauer wegnimmt, sondern es entsteht eine neue ver­trauensvolle Hinwendung, ja Hingabe im Glau­ben. Aus dem Verlust wird ein Gewinn, nämlich der Gewinn eines neuen geborgenen Lebens in Gottes Fürsorge in Ewigkeit über das Zeitliche hinaus: „ Wer will mir den Himmel rauben, den mir schon Gottes Sohn beigelegt im Glauben? Du bist mein, ich bin dein, niemand kann uns schei­den" (EG 370,1.11).

Auch das Zutrauen wird kräftig, das in Handeln umgesetzt wird. Verhältnisse werden geändert, Mut zum Durchhalten bekommt ein Gesicht. An den Grenzen menschlicher Hoffnungen ent­steht die Energie der prophetischen Verheißung immer wieder neu. Es wachsen Gottvertrauen und Dankbarkeit und eine starke Hoffnung, die in konkretes Handeln münden. Leiden und Verlust schaffende Wirklichkeit wird von der Auferstehungsgewissheit durchdrungen und verwandelt: „So fass ich dich nun ohne Scheu, du machst mich alles Jammers frei. Du trägst den Zorn und würgst den Tod, verkehrst in Freud all Angst und Not" (EG 542,9; Regionalteil Rheinland).

Mit diesen Gedanken von Renate Voswinkel möchte ich Sie alle herzlich grüßen und Ihnen Trost und Zuversicht wünschen in diesen dunkler werdenden Tagen.

 

Ihr Propst Peter Godzik



[1] Abgedruckt in: Brennpunkt Gemeinde 60 (2007) 64-66.