Gottesgeschenk

 

von Propst Peter Godzik, Ratzeburg

 

Wer sich in diesen Tagen wieder die Krippen in den Kirchen anschaut oder vielleicht selber eine Krippe zu Hause aufgebaut hat, der weiß: Wenn die Krippe über mehr Figuren als das Jesuskind, Maria und Josef verfügt, dann gehören auch Schafe dazu. Oft sind es gleich mehrere. In mancher Krippe kann man eine ganze Herde finden.

Häufig ist dann auch ein Hirte dabei, der ein Lamm auf seiner Schulter trägt. Er bringt es dem Jesuskind. So wie wir uns zu Weihnachten beschenken, so wollten auch die Hirten damals nicht mit leeren Händen vor Jesus stehen. Was sollten sie mitbringen? Sie bringen ihm das, wovon sie leben: Sie bringen ein Lamm. Der Hirte mit dem Lamm auf seiner Schulter steht für die Freude, die die Geburt Jesu bereitet. Und es ist ein Zeichen der Dankbarkeit für das, was dort in Bethlehem geschehen ist. „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen“ (1. Johannes 3,1).

Das ist die Weihnachtsbotschaft in einem kurzen Satz. Gottes Sohn wird als Kind in diese Welt geboren, damit wir Gottes Kinder werden. Gottes Kinder: das heißt Menschen, die Gott gern hat, die Gott liebt, und für die er sorgt. Und Gottes Kinder zu sein, bedeutet auch, etwas von Gott zu haben, so wie Kinder immer etwas von ihren Eltern besitzen. „Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein“ (1. Johannes 3,2). Wenn Gott uns zu seinen Kindern macht, gibt er uns etwas von sich selber. Er will uns auch etwas von seinem Leben schenken, das ewig ist. Wir sind Gottes Kinder, von ihm geliebt. Und darum werden wir nie, auch im Tode nicht, verloren gehen: Ein wunderbares Geschenk, das Gott uns macht. Ein Geschenk, das fröhlich und dankbar macht und das es wert ist, weitergegeben zu werden. Der Hirte mit dem Lamm auf seiner Schulter in der Weihnachtskrippe ist dafür ein besonders schönes Bild.

Eine weihnachtliche Legende erzählt: Ein Lamm hat sich verirrt. Es ist in Not. Aber niemand hört sein Klagen. Alle sind auf dem Weg nach Bethlehem, um das Kind in der Krippe zu sehen. Ein Hirte aber hört das Lamm. Und er geht, um diesem Lamm zu helfen. Er verzichtet auf den großen Augenblick. Er verzichtet auf das, was der Engel angekündigt hat, auf den weihnachtlichen Glanz im Stall. Er verzichtet, weil er spürt: Ich werde gebraucht.

Diese Legende erinnert uns an das, was ebenfalls dazu gehört, wenn man Gottes Kind ist. Etwas von Gott haben, heißt auch, etwas von seiner Liebe weitergeben.

Für den Hirten ist das keine Frage. Er liebt das Lamm und darum sucht er es und möchte ihm helfen. Liebe bedeutet manchmal Verzicht. Wer sich für einen anderen Menschen einsetzt, wer für das Wohlergehen eines anderen eintritt, wer nicht vorbeigeht, wenn jemand in Not ist, der muss etwas einsetzen. Vielleicht ist es Zeit, vielleicht Geld, vielleicht auch die Überwindung von Vorurteilen. Am Ende merkt der Hirte, dass er durch seinen Verzicht nichts verloren hat, ja dass gerade durch seine Liebe das weihnachtliche Geschehen ihm ganz nahe gekommen ist.

Gottes Liebe macht uns durch seinen Sohn Jesus Christus zu seinen Kindern. Kann es denn sein, dass wir angesichts einer solchen Liebe kalt und hartherzig bleiben? „Und ein jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist ... Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht; wer sündigt, der hat ihn nicht gesehen und nicht erkannt.“ (1. Johannes 3,3.6)

Im Weihnachtsbild der Wieskirche stehen auch Zacharias und Elisabeth mit ihrem Sohn Johannes vor der Krippe. Der Knabe Johannes hält in seinen Händen ein Lamm, das er dem Jesuskind reicht. Damit wird auf das Wort angespielt, das Johannes einmal über Jesus sagen wird: „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!” (Johannes 1,29) So weist der Maler hier schon über Weihnachten hinaus: Jesus selber ist das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt auf sich nimmt. Seine Liebe ist so groß, dass er für die Schuld der Welt und ihre Lieblosigkeit ans Kreuz geht. „Und ihr wisst, dass er erschienen ist, damit er die Sünden wegnehme, und in ihm ist keine Sünde.“ (1. Johannes 3,5)

Auch das gehört zur Weihnachtsbotschaft: Nichts soll mehr zwischen uns und Gott stehen. Selbst wo unsere Liebe zu schwach war und wir nicht umgekehrt sind, um dem verletzten Lamm zu helfen, wo wir an unseren Mitmenschen schuldig geworden sind, verstößt uns Gott nicht als seine Kinder. Selbst dort, wo unsere Liebe zu schwach ist, weist Gott uns auf das Kind in der Krippe und auf den Mann am Kreuz: „Seht, das ist mein Lamm, das der Welt Sünde trägt.“

Und darum kann der Apostel trotz aller menschlichen Schwächen, die auch ihm bekannt sind, voller Überzeugung sagen: „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch!“ (1. Johannes 3,1)