Predigt im Hubertus-Gottesdienst am 1. November 2004[1]

gehalten von Propst Peter Godzik

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Jägerfamilie, liebe Gemeinde!

Ich denke, in den Grundzügen und im Kern kriegen wir die Legende vom Heiligen Hubertus wohl alle zusammen. Da wird erzählt, dass der Hubert (heilig war er ja da noch nicht) einem Hirsch nachstellt. Und als er ihn zusammen mit seinen Jagdkumpanen und wohl mit der Hundemeute gestellt hat, erscheint ihm – diesem Hasardeur des Waidwerks, diesem zügellosen Jäger – im Geweih des Hirsches ein Kruzifixus. Und Hubert, ganz überwältigt von dieser Vision, fällt auf die Knie, betet Christus an und jagt hinfort nicht mehr. 

Er jagt nicht mehr – nicht, weil die Jagd etwas Schlechtes wäre, sondern weil sein Auftrag, sein Lebensauftrag ihn fortan ganz in Anspruch nimmt: nämlich Menschen den Blick auf Gott frei zu machen. Aus dem wilden Hubert ist St. Hubertus geworden.

Wer nun ein bisschen kritisch nachfragt, wer ein bisschen hinter die Kulissen der ganzen Hubertusverehrung schaut, der wird bald feststellen, dass hier zwei Legenden zusammengetragen worden sind: die vom Heiligen Hubertus und die vom Heiligen Eustachius. Hier haben Volksfrömmigkeit, Jagdromantik, vielleicht auch kirchliche Interessen mächtig gewirkt, bis zusammengewachsen war, was heute die Hubertus-Legende heißt.

Historisch ist davon allenfalls, dass es diesen Hubertus als Bischof gab. Aber wie man weiß, hat der nicht einmal gejagt.

Dennoch: die Legende von St. Hubertus ist nicht auszurotten. Sie hat überlebt, sie hat allen Versuchen historisch-kritischer Aufklärung widerstanden, allen Versuchen der totalen Verkitschung, allen Versuchen der kirchlichen Vereinnahmung. Die Hubertuslegende führt ein sicheres und widerspenstiges Leben am Rande unserer Zeit. Irgendwie geliebt und doch auch vernachlässigt, dann und wann gefeiert, und  wieder vergessen.

Liebe Gemeinde! Es ist weiß Gott nicht leicht, diese Legende wirklich an sich heranzulassen. Denn sie rührt gleichermaßen an eine tiefe Sehnsucht und an eine tiefe Verzweiflung. Sie rührt an die Sehnsucht, Gott möge doch auch uns deutliche Zeichen senden, damit wir einig leben können unter seinem Willen und seinen Geboten. Und St. Hubertus rührt an die tiefe Verzweiflung, die uns anfällt und aufwühlt, wenn wir daran denken, dass neues Leben nur durch Umkehr zu erreichen ist. Durch Umkehr die Bibel sagt: durch Buße, durch Metanoia, durch die Sinnesänderung.

Sehnsucht und Verzweiflung – diese Regungen, diese Lebenszeichen kommen uns nach Jahren der Selbstgefälligkeit allmählich wieder näher:

Wir alle wissen das. Und dieses Wissen weckt die Sehnsucht in uns, Gott möge doch endlich Zeichen senden, damit wir innehalten und nicht abstürzen, nicht untergehen, nicht noch weiter ins Verderben rasen. Gleichzeitig fällt uns eine Verzweiflung an, in der uns klar wird: mein Gott, dann muss ich mich ja ändern!

Liebe Gemeinde, Schönheit und Schauder liegen in der Hubertuslegende eng zusammen. Sie ist die Geschichte einer Umkehr. Sie ist das fromme Bild eines Menschen, der von Gott den Durchblick geschenkt bekommt. Der auf einmal durch das Objekt seiner nackten Begierde hindurchschaut und neu wird. Die Legende vom Heiligen Hubertus ist die Legende von dem Menschen, der ehemals auf und in die Knie zwang, was um ihn herum war, der dann aber selber auf die Knie fällt und zur Ordnung zurückfindet, die jenseits von Beutetrieb und Trophäengier liegt.

St. Hubertus ist vom Jagdkönig zum Diener an Gottes Schöpfung aufgestiegen. Aufgestiegen vom König zum Diener.

Ungezügelter Beutetrieb und Trophäengier – sie sind keineswegs ausschließlich Attribute eines fehlgeleiteten Waidwerks. Sie sind Attribute des gottlosen, verlorenen, sündigen, d.h. gottfernen Menschseins überhaupt. Eine Hubertusmesse zu feiern heißt also recht verstanden, das Undenkbare im Namen Gottes denken zu wagen: Umkehr, Buße, Erneuerung, Demut.

Einen Hubertusgottesdienst zu feiern heißt, darüber nachzudenken, welches unverrückbare und unbestreitbare Beziehungsgeflecht zwischen Mensch und Mitwelt besteht. Heißt darüber nachzudenken, dass „Schöpfung“ kein überflüssig frommer, religiös altmodischer und von daher verzichtbarer Begriff unserer Altvordern ist, sondern vielmehr Ordnungsanzeige, Wesensanzeige, weisheitliches Reden von dem, was wir weltlich „Umwelt“ nennen. Wo es auch um die Frage geht, welchen Platz wir Menschen wohl in dieser Ordnung uns einzunehmen erlauben können.

Immer wieder einmal wird einem als Pastor oder Propst gesagt: „Ach wissen Sie, das mit den sieben Tagen der Schöpfung, das glaube ich nicht.“ Das glaube ich nun auch nicht! Glauben, liebe Gemeinde, heißt ja nicht, dass wir unseren Verstand an der Kirchentür abgeben müssten.

Aber wenn jemand kommt und sagt, das Bild, die Metapher von den sieben Schöpfungstagen solle man im Zuge der Moderne endlich aufgeben, auf den Müllhaufen unserer Geistes- und Religionsgeschichte werfen, dann muss der mir bitteschön auch sagen, welches bessere Bild er mir für die geistliche Einsicht liefern kann, dass die Vorgaben für das Leben nicht der Mensch selbst gemacht hat. Sondern dass der Mensch Produkt einer schöpferischen Entwicklung ist, die begann, als der Mensch aus der Unendlichkeit der Vorzeit noch gar nicht aufgetaucht war.

Der Schöpfungsmythos des Alten Testaments soll doch kein wissenschaftlicher Bericht sein, sondern er will sagen, dass die Dinge um mich herum von einer Größe und Weisheit sind, die mich Erdenwurm fromm sagen lassen: „Von Gott, vom Schöpfer!“

Die Bibel sagt in ihren Bildern: Das Leben ist von einer Größe und Weisheit, die ich Adam, ich „Erdling“ (so heißt „Adam“ wörtlich übersetzt aus dem Hebräischen), ich Wimpernschlag in der Ewigkeit doch nicht infrage zu stellen oder hybrid zu leugnen hätte!

Was ist das für ein Wahnsinn, für ein Defekt im Kopf, liebe Gemeinde, der uns meinen läßt, wir könnten die Schöpfung hier und da, mir nichts dir nichts aus den Jahrmillionen gewachsenen Angeln heben, um sie mal nach links, mal nach rechts zu rücken? Wir verheben uns dabei! Mutter Erde gleitet uns aus den Händen!

Darum: Mensch, Adam, Erdling höre auf, Gott zu spielen und denke darüber nach, wo dein Ort in dieser wunderbaren Welt ist!

Mensch, Erdling geh’ auf die Knie, und mache dir nicht immer schon ein Bild von der Welt von Morgen, sondern lass’ doch einmal Gottes Gedanken an dich heran! Frage danach, wo dein Platz ist und welches Instrument dir der schöpferische Geist im Konzert des Lebens zugedacht hat. Doch nicht den Knüppel, mit dem du alles um dich herum totschlägst!

Hubertus hatte plötzlich den Durchblick, sagt die Legende. Er erkannte in seiner ihm ausgelieferten Beute das Geschöpf. Und die Haltung, die Hubertus fortan einnimmt, ist, liebe Gemeinde, nicht nur fromm, sie ist logisch. Entspricht dem Logos, dem Wort, dem schöpferischen Gesamtplan. Er, der bis dahin frei über Leben und Tod in seinem Leben bestimmte, frei, wild, chaotisch – er findet zum Dienst, zum Gottesdienst.

Und das, liebe Jägerfamilie und liebe Gemeinde, ist die richtige Ortsangabe für diejenigen, die im Waidhandwerk tätig sind, aber darüber hinaus auch für uns alle als Menschen, als Geschöpfe. Nicht im Dienste des Chaos, der verlorengegangenen oder hybriden Maßstäbe, der freien Herrschsucht und der ungezügelten Passion tun wir unser Waid- oder Tagewerk, sondern im Dienste des Schöpfers, des schöpferischen Geistes, den wir als dreieinigen Gott bekennen.

Der Apostel Paulus schreibt im Römerbrief an die Christen in Rom:

Liebe Brüder und Schwestern! Durch die Barmherzigkeit Gottes ermahne ich euch, dass ihr Gott euer Leben als ein Opfer gebt, das lebendig, heilig und gottwohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellt euch dieser Welt nicht gleich, sondern ändert euch durch die Erneuerung eurer Vernunft; damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist: nämlich das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene.

Liebe Gemeinde! Das Leben ist so gesehen biblisch gesehen nicht mehr und nicht weniger als ein Lehen. Unser Leben, das wir haben, ist geliehen. Die Erde ist geliehen. Die Wälder sind geliehen. Und die Erwartung an uns, die wir uns Leben geliehen haben, ist die, dass wir das Grundprinzip „Verantwortung“ in Ehren halten und an die uns folgenden Geschöpfe weitergeben können, was uns anvertraut worden ist. Wir müssen uns erneut und engagiert umschauen nach den Grundlagen unseres Lebens, schnell und engagiert, gemeinsam und passioniert.

Und das Wissen, die Weisheit, auf die wir uns erneut auf die Suche machen müssen, das ist meine feste Überzeugung, sind nicht nur biologischer, biophysiologischer, sondern auch geistlicher Natur.

Die Heilige Schrift nennt dieses geistliche Element in unserem Leben, diese Einsicht in die Zusammenhänge altmodisch aber passend: Demut. Und genau dazu findet und fand St. Hubertus. In seinem Schritt zur Demut gerät er in Einklang mit Gott, kehrt er heim in die Einheit, findet zurück zu schöpferischer Liebe und Freiheit. Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen

 



[1] Nach einer Predigt von Pastor Rolf Adler, Lüchow; im Internet unter: http://www.sankt-hubertus.de/pred1994.htm.