19. Mai 2007 •
Heft 10 • 172. Jahrgang • Zeitschrift der
Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit
Der Kurs Nordelbiens oder: Die Karten müssen neu gemischt werden
Man kann mit Recht fragen, ob es nützt
und sinnvoll ist, sich noch einmal in Sachen Umbau der Nordeibischen Kirche zu
Wort zu melden. Bischof Wilckens und ich haben im September 2006 kurz vor der
Synodenentscheidung interveniert und kritisch auf die eigenartig still vollzogene
Veränderung der Motive und Zielsetzung bei der geplanten Neugestaltung der
nordelbischen Leitungsebene hingewiesen. Was anfangs ein Sparprojekt sein
sollte (alle müssen sparen, „auch die da oben“, also nur ein Bischof in der
Nordelbischen Kirche) wurde gleichsam unter der Hand ein hierarchisches Modell:
Auflösung des Bischofskollegiums und Herausstellung eines weisungsbefugten
Landesbischofs mit Sitz in Kiel gegenüber zwei untergeordneten Bischöfen mit
dem sehr großen Sprengel Nord (Schleswig) und Süd (Hamburg). Der Bischofssitz
in Lübeck entfällt. Das Einsparungsmotiv verschwand im Laufe der Überlegungen,
dafür wurde eine Wesensänderung der Nordelbischen Kirche an zentraler Stelle
vorgenommen.
Das ist ein
erstaunlicher Vorgang, um dessen einleuchtende Begründung es eigenartig still
blieb. Argumentativer Stillstand ist zu beobachten, der aber Müdigkeit und
Verdrossenheit als Aufbruchstimmung zum Ausdruck bringt. Ich habe noch keinen
vernommen, der mit Verve und Überzeugungskraft diese tief einschneidende
Änderung vertritt und ihre unabweisbare Notwendigkeit bezeugt. Eher ist eine
gewisse Entschlossenheit der zusammengebissenen Zähne zu erkennen: wir haben
es entschieden, dafür gibt es eine Mehrheit, und nun wird es gemacht. Das
allerdings ist eine riskante Argumentation, denn Kirche „tickt“ anders, um es
einmal salopp zu formulieren. Das „Basta“-Prinzip ist nicht ihre Sache. Wer
noch die leidenschaftlichen Debatten vor der nordelbischen Vereinigung in
Erinnerung hat, kann über die argumentative Lethargie und ihr nonchalantes
Gegenstück des „Wir werden das schon machen“ nur staunen.
Die
Zwangsfusion von Kirchenkreisen geht übrigens mit dem gleichen argumentativen
Stillstand einher. Historisch gewachsene Einheiten werden aufgelöst und in
Großgebilde überführt, in denen die Rolle des auf Nähe, Überschaubarkeit und Vertrautheit angewiesenen Ehrenamtes
völlig neu definiert werden muss. Auch hier scheint das Einsparmotiv zweitrangig
geworden zu sein, denn Kirchenkreise haben von sich aus durch Kooperationsmodelle
besonders im Verwaltungsbereich ihren Willen zu sparen verbindlich bekundet,
allerdings unter Wahrung ihrer Identität. Der Gesetzgeber jedoch ist darüber
hinweggegangen: es ist beschlossen, es gibt eine Mehrheit, und es wird gemacht.
Man kann ins
Sinnieren kommen: Warum muss es so laufen? Welche Dynamik setzt sich hier
durch? Hat sich ein Prozess verselbständigt in der Weise, dass die beteiligten
Akteure nur noch sich selbst und ihren Veränderungswillen im Blick haben?
Im Falle der
Großkirchenkreise gibt es ein rationales Argument: Nämlich Einheiten zu
schaffen, die ein so großes Finanzvolumen in sich vereinigen, dass die Last der
nordelbischen Werke und Dienste besser und widerstandsfreier auf sie abgewälzt
werden kann. Der Preis dafür jedoch ist hoch.
Die Devise, die
die Veränderungen begleitet (begründen kann sie sie nicht), lautet: Wir müssen
näher an die Menschen heran! Aber wie soll das geschehen, wenn die kirchlichen Strukturen immer weiträumiger
und unübersichtlicher werden: Nähe durch Entfernung? In Lübeck sind Unmut und
Unverständnis besonders ausgeprägt, weil sich nur wenige mit dieser Dialektik
anfreunden können.
Auf eine
Prognose möchte ich fast eine Wette eingehen: die beiden demnächst zu installierenden
Regionalbischöfe oder -bischöfinnen in Hamburg und Schleswig bekommen so
umfangreiche Regionen zugewiesen von Harburg bis Lübeck und Sylt bis
Stockelsdorf, dass es nicht lange dauern wird, bis sich die Erkenntnis durchsetzt,
nämlich um der beschworenen und notwendigen Nähe zum Menschen willen: Diese
Sprengel sind für ein bischöfliches Amt, das auf eine sinnvolle Ausübung seiner
Aufgaben und auf eine wahrnehmbare Präsenz Wert legt, zu groß, eine
Neuaufteilung oder eine Stellvertreterregelung, jedenfalls eine Ämtervermehrung
muss dann in Angriff genommen werden. Das wäre verständlich, denn das Verhältnis
des Bischofs zu denen, die er visitieren soll, muss so beschaffen sein, dass
diese Arbeit zu schaffen ist.
Der Eindruck lässt
sich leider nicht aus der Welt räumen, dass die Nordelbische Kirche gegenwärtig
ihre Selbstverwandlung
argumentativ nicht sehr eindrucksvoll darstellt bzw. nicht unter Kontrolle
hat. „Augen zu und durch“ ist eine mögliche Verhaltensweise, aber ein neuer Umstand
verbietet sie. Und deswegen mag es noch einmal angehen, dass sich eine Stimme
von außen meldet.
Der neue Umstand heißt Nordkirche, das
Projekt einer Vereinigung der drei Ostseekirchen Nordelbien, Mecklenburg und
Pommern. Verbindungen partnerschaftlicher und auch institutioneller Art
zwischen diesen Kirchen gibt es seit vielen Jahren. Dieses Projekt ist sinnvoll,
auch unter dem Aspekt der Förderung der deutschen Einheit und des Gemeindeaufbaus
nach den verheerenden Einbrüchen durch den Staatsatheismus der DDR. Die
zeitlichen Vorstellungen, die im Zusammenhang mit der Realisierung einer
Nordkirche zu vernehmen sind, klingen etwas abenteuerlich. Das Jahr 2010 wird
genannt, die Nordelbische Kirche hat 40 Jahre Vor- und Nachkriegszeit
gebraucht, bis sie zu Stand und Wesen kam. So lange muss es mit einer
Nordkirche nicht währen, aber in drei Jahren wird es sie mit Sicherheit nicht
geben.
Die zentrale Frage lautet: In welcher
Gestalt und mit welchen Vorgaben gehen diese Kirchen in die Sondierungsgespräche
für eine mögliche Fusion? Arbeitsökonomisch ist es schon bemerkenswert: Die
Nordelbische Kirche ist eine Baustelle, was die Kirchenkreisstruktur und vor allem
die Leitungsebene angeht. Sie ist dabei, ein hierarchisches Bischofsamt einzuführen,
mit dem es keinerlei Erfahrungen gibt und das seinen Praxistest noch nicht
bestanden hat. Die neuen Kirchenkreise brauchen kompetente Begleitung und die
ganze Aufmerksamkeit der Nordelbischen Kirche. Und nun soll auf dieser
Baustelle eine neue eingerichtet werden mit noch viel größeren und
weitreichenderen Herausforderungen. Wie soll das funktionieren? Sollen die
beiden Partner, vor allem Mecklenburg, aufgefordert werden, sich in das neue
Bischofsmodell einzufügen mit dem Landesbischof und dem Kirchenamt in Kieler
Randlage? Die Chancen, dass das gelingt, dürften nicht allzu groß sein. Wenn
die Nordkirche ernsthaft gewollt wird - und das wäre wünschenswert, kann die
Nordelbische Kirche schwerlich mit diesen Vorgaben die Verhandlungen aufnehmen.
Es muss genau überlegt werden, unter welchen Voraussetzungen eine Einheit und
Struktur ganz neuer Art sinnvoll ausgehandelt werden kann. Vergessen wir
nicht: Die Verfassungsänderung für die jetzt geplanten Unternehmungen ist noch
nicht vollzogen, und schon soll eine weitere, grundlegend neue Verfassung in
Angriff genommen werden, die für eine Fusion der 3 Kirchen eine unabdingbare
Voraussetzung ist.
Da volkstümliche Bilder verschiedener
Art im nordelbischen Reformprozess hier und dort begegnen, greife ich ins Repertoire
der Skatspieler: Die Karten müssen neu gemischt werden, denn es beginnt ein
neues Spiel.
Das Nordkirchenprojekt ist nur dann
sinnvoll, wenn es erste Priorität bekommt und nicht als ein mehr spielerischer
Nebengedanke behandelt wird. Darüber muss Klarheit geschaffen werden. Wird
diese Kirchen-Vereinigung an der Ostsee ernsthaft gewollt, müsste ähnlich wie
bei der nordelbischen Kirchwerdung ein „Nordkirchen-Rat“ eingesetzt werden aus
gleichberechtigten Repräsentanten der 3 Kirchen, der die Aufgabe hätte, das
Fundament einer neuen Kirchenverfassung zu erarbeiten, also im Neudeutsch die
„Essentials“ dessen, was man will und braucht. Dabei sind 3 verschiedene
Verfassungen und 3 verschiedene Bischofstraditionen zu einem neuen Ganzen
zusammenzuführen. Das Nichtverhandelbare kann sich in dieser Situation - siehe
wiederum die Verhandlungen vor Nordelbien - nur auf die Lehrgrundlagen
beziehen, alles andere steht zur Disposition. Der Sitz des Landesbischofs,
wenn es denn einen solchen Bischof geben soll, muss in diesen Verhandlungen
genauso in Frage gestellt werden wie der Sitz und die Aufgaben der zentralen
Verwaltung, also des „Nordkirchenamtes“. Eine Vorfestlegung auf Kiel durch
Nordelbien ist nur sehr schwer vorstellbar, Schwerin oder Lübeck böten sich
als natürliche Mittelpunkte viel überzeugender an.
Im Blick auf die Personen im bischöflichen
Amt sind schon jetzt Übergangslösungen zu erwägen. Im Herbst nächsten Jahres
werden 2 nordelbische Bischofsämter vakant. In der Nordkirchenperspektive muss
dann die Frage geprüft werden, ob und gegebenenfalls wie die dann noch im Amt
befindlichen 3 Leitungspersonen das Nordkirchen-Bischofsamt wahrnehmen können.
Nordelbische Neuwahlen können m. E. nicht einfach in die Wege geleitet werden,
ohne - zusammen mit den Partnern - intensiv diese Frage zu erörtern und zu
entscheiden.
Also: Im Zeichen der Nordkirche ist ein umfassender Neuanfang notwendig. „Die Karten müssen neu gemischt werden.“