Wort zum Sonntag für die LN: 24. Dezember 2006 (4. Advent)

 

Zeichen der Freude

 

Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe! (Philipper 4,4.5b)

 

Wer durch eine gotische Kathedra­le geht, kann ihnen begegnen, überraschend und wohltuend. Frei­lich, viele werden sie gar nicht wahrnehmen, denn eher zurückhaltend, fast flüchtig nur sind sie gegenwärtig. Der Frage „Hast du sie gesehen, die Engel an den Pfei­lern und Konsolen, die zarten Ge­stalten, aus hartem Stein herausge­meißelt und doch sanft und leicht, als würden sie schweben?“ wird ein Kopfschütteln folgen: Engel? Nein, die sind mir nicht begegnet. Oder vielleicht doch?

Denn, ganz zurückhaltend nur, aber doch wie von selbst, prägen sie die Atmosphäre des Raumes. Ihre zarten Konturen brechen die harten, steinernen Kanten, schmiegen sich um spitze Ecken, runden schroffe Übergänge ab und ma­chen aus kahlen Wänden belebten Raum, geben den Schritten etwas Beschwingtes und tun der Seele wohl, auch wenn die Augen sie übersehen. Es ist, als fiele in frosti­ge Kälte ein wärmendes Licht, und aus strenger, distanzierter Architek­tur wird heimatlich-wohliger Raum, der einlädt zum Verweilen. Wer die Einladung annimmt, sich umschaut und die Stille in sich ein­ziehen lässt, wird sie dann auch sehen, diese Engel, wie sie heraus­treten aus dem Verborgenen, als kä­men sie den Betrachtern entgegen: Freuet euch! Der Herr ist nahe!

Edle Gesichter, ein stilles, wissen­des Lächeln auf den Lippen, stei­nerne Strenge lösend, Trennungen aufhebend und die Wirklichkeit der Welt berührend mit zarter Ge­bärde oder einer unhörbaren Melo­die, die doch wie von selbst wider­klingt in der Seele und den Raum zu füllen scheint, weil plötzlich das Unsichtbare die vordergründige Welt berührt und ein Ahnen des Himmels aufgeht, der unsere in sich geschlossene Welt aufbricht und etwas vom Glanz der Herrlich­keit Gottes ins Grau eines Tages scheinen lässt.

Solche Engel sind Zeichen am Weg, sichtbar vor Augen stellend, wie die Wirklichkeit Gottes unser Denken und Fühlen anrühren will und Verbindung schaffen zwischen Gott und Mensch, behutsam, zärt­lich fast, werbend, gewiss ma­chend: Ich bin nicht allein, bin be­gleitet, bewahrt, umschlossen von Gottes guten Gedanken, die Raum finden wollen in mir, mich getrost und frei und fröhlich machen. Und dann begleiten sie auch hi­naus in die Unruhe und Umtriebig­keit eines Tages, auf die Gassen und Plätze mit den lauten Stim­men, den grellen Farben und den schrillen Tönen, die um unser Herz werben. Doch wer das Bild jener Engel in sich trägt, wird auch etwas von der Stille mitnehmen, die sie ausstrahlen, und jenen Glanz in sich tragen, der überall da auf­scheint, wo der Himmel unsere Er­de berührt und ein Herz gewiss wird und sich freut über die Erfah­rung: Der Herr ist nahe!

 

Propst Peter Godzik, Ratzeburg