Du stellst meine Füße auf weiten Raum (Psalm 31,9)

Liebe Leserin, lieber Leser!

Der erste Deutsche Evangelische Kirchentag im dritten Jahrtausend, der vom 13. bis 17. Juni 2001 in Frankfurt am Main stattfindet,  wird sicher wieder ein großes Ereignis werden. Schon zum vierten Mal ist der Kirchentag in Frankfurt am Main zu Gast. 1956, als die Stadt noch in Trümmern lag, kamen zum Abschluss 600.000 Menschen auf dem Rebstockgelände zusammen. 1975 wurde hier der „Markt der Möglichkeiten“ geboren, und ich nahm als Vikar zum ersten Mal an einem Kirchentag teil. 1987 gab es Streit um die Geschäftsbeziehungen von großen Banken zum Apartheid-Staat Südafrika, aber auch Signale der Versöhnung mit den Völkern der damals noch bestehenden Sowjetunion. Im Jahre 2001 feiern wir einen gesamtdeutschen Kirchentag unter dem Motto „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ in Frankfurt am Main.
Ein Pilgerweg wird mitten durch die Großstadt, mitten durch eine Welt von Kommunikationsmedien und Geldtransfer führen. Ein ungewöhnlicher Versuch, ein heilsamer Aufbruch: Im Fluss der Zeit und des Alltags soll innegehalten und einer Jahrtausende alten Tradition gefolgt werden. Die Route führt vom Römerberg aus über gesellschaftspolitisch brisante Orte wie die jüdische Gedenkstätte am Börneplatz. Endpunkt soll eine der großen Grünanlagen Frankfurts sein: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“
Die Sehnsucht der Menschen nach einem lebensbejahenden und Mut machenden Glauben ist ungebrochen. Aber was bedeutet es heute, ein Christ oder eine Christin zu sein? Wie zeigt sich Glaube? Wie drückt er sich aus? Wo finden Christen Hoffnung, Lebensmut und Geborgenheit? Immer dringender kommt es darauf an, die wichtigsten Kernsätze des evangelischen Glaubens in knapper, klarer Sprache zu formulieren: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“
Protestantisches Profil steht derzeit hoch im Kurs. Im Dialog mit Menschen aus anderen Religionen, mit anderen Christen und mit Menschen ohne Religionszugehörigkeit wird es darum gehen, den Blick zu weiten und protestantische Eigenart zu beschreiben. Wo haben Enttäuschungen stattgefunden? Welche Erwartungen gibt es? Wie steht es mit dem Anspruch auf Wahrheit? Wir können voneinander lernen, wenn es gelingt, Scheu und Berührungsängste zu überwinden: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“
Wirtschaft, Bildung, Demokratie und Recht – die Freiheit unseres Lebens ruht auf Fundamenten, die der Pflege und Wartung bedürfen. So muss der freie Markt davor bewahrt werden, die Menschen aus dem Blick zu verlieren. Bildungseinrichtungen sollten den Anforderungen der modernen Welt gerecht werden. Und Politiker müssen sich der Frage stellen, wie sie es mit den Regeln halten, die ihnen rechtliche und moralische Verpflichtungen auferlegen. Politiker, Wissenschaftler und Manager müssen sich befragen lassen, was sie dazu beitragen, dass die Menschen des 21. Jahrhunderts in Freiheit und Verantwortung bestehen können: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“
Die Welt ist in einem rasanten Wandel begriffen. Neue Technologien verändern die Lebens- und Arbeitswelt. Manche sehen darin eine Chance auf eine bessere Zukunft, andere fürchten, dass im Sog des Fortschritts und der Globalisierung die Würde des Menschen auf der Strecke bleiben könnte. Auf dem Kirchentag wird es auch darum gehen, beunruhigende Entwicklungen zu diskutieren: die Durchdringung des Lebens mit digitalen Medien, die Auflösung angestammter Identitäten, die Zerstörung unserer räumlichen und zeitlichen Ordnungen, die Bedrohungen menschenwürdigen Lebens gerade an seinem Anfang und an seinem Ende. Aber auch das wird es geben: Fröhliches Lachen, angespannte Aufmerksamkeit, Klatschen, Tanzen, Beten, Nachdenken, miteinander Reden und Essen, Spielen, viel Musik für jung und alt auf dem Kirchentag bei zahlreichen Foren und Veranstaltungen. „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ Herzliche Einladung nach Frankfurt am Main im Juni 2001!

Ihr Propst Peter Godzik