Als ob wir solche Erfahrungen nicht auch
schon gemacht hätten im Leben: Gott hat Gebete erhört und uns
geholfen, als wir es besonders nötig hatten. Aber das liegt weit zurück
und inzwischen haben andere Erfahrungen an unserem Glauben genagt. Hoffnungsvolles
Vertrauen in die Gnade und Güte Gottes kann einem unterwegs abhanden
kommen. Dann sieht es eher trostlos aus im eigenen Leben.
Da ist es gut, wenn uns einer aufweckt
mit einem kleinen Schlag auf die Schulter. Du, schau hin, es lohnt sich,
es ist immer noch so, wie Du einmal geglaubt und gehofft hast. Gott ist
noch nicht am Ende mit Dir. Er möchte Dich wach und voller Vertrauen.
Im Zen-Buddhismus ist das eine geistliche
Übung. Der Abt geht durch die Reihen der meditierenden Mönche.
Sie halten die Augen geschlossen und sollen doch meditieren mit wachem
Geist. Einige scheinen so versunken, daß sie das Aufwachen brauchen.
Der Abt nimmt den Stab und schlägt damit auf die Schulter. Der Mönch
weiß: Das Göttliche ist gegenwärtig. Immer. Es weckt auf,
fordert heraus - jetzt.
Paulus schlägt nicht die Gemeinde
- er ist selber ein Geschlagener. Er schreibt. Aber er schreibt, wie der
Abt schlägt: Jetzt. Jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist der Tag
des Heils (2. Korinther 2,2).
Wacht auf, nehmt wahr, damit Gottes Gnade
an Euch nicht vergeblich ist. Und der das sagt, lebt es vor am eigenen
Leibe. Er schildert Situationen, in denen er von Gott wachgehalten wurde
in seinem Leben, um wahrzunehmen, was wirklich und wahrhaftig ist: in großer
Geduld, in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen,
in Gefängnissen, in Verfolgungen, in Mühen, im Wachen, im Fasten,
in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit ... Wenn einer
Euch fragt, wo ist Gott in all dem Elend der Menschen, dann antwortet:
Er ist da. Ich weiß es. Ich kann es bezeugen. In meinem Leben hat
er mich immer wach und lebendig gehalten, egal, was geschah.
Da wird ein Kind geboren auf einem Baumwipfel
mitten in der überfluteten afrikanischen Steppe. Eine Mutter hält
es und trägt es und wird gerettet. All die Bilder von der Rettung
der Menschen in dieses Leben (und all die unsichtbaren Bilder von der Rettung
der Menschen in ein anderes Leben) sind wie ein lebendiger Kommentar zu
den alten Worten aus dem 2. Korintherbrief des Apostels Paulus: "In der
Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken,
in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten,
als Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt;
als die Sterbenden und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und
doch nicht getötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich;
als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und
doch alles haben." Wann hören wir schon einmal so über die Menschen
sprechen, ihre Würde und ihr Geliebtsein? Die wir uns dazu verführen
lassen, in Wohncontainer zu schauen, in denen Menschen freiwillig und für
einen ausgelobten Preis (welchen?) big brother miteinander spielen. Ob
wenigstens hier alles vergeblich ist? Nein, auch hier nicht. Wenn etwas
hilft und rettet, dann er. Später wird einer sagen: Da hab' ich's
begriffen. Da bin ich wach geworden. Da. Jetzt.
Propst Peter Godzik, Ratzeburg