LN-Artikel zum Heiligen Abend 2000

„Alle Jahre wieder...“, so singen wir seit unserer Kindheit. Und alle Jahre wieder hören wir zu Weihnachten die gleiche Geschichte: Die Geschichte von der Geburt Jesu im Stall von Bethlehem. Es ist eine der schönsten Geschichten der Welt. Wir können sie immer wieder hören und freuen uns jedes Mal neu an den alten Worten. Es ist so, als kommt etwas Heiliges in unsere Welt mit diesem Kind, etwas Neues und Belebendes.
Wir erinnern uns an die Weihnachtsfeste unserer Kindheit. Was konnten wir uns da freuen! Und wie gespannt waren wir in der Zeit davor! Vieles von dem, was wir selbst erlebt haben als Kind, versuchen wir hinüberzuretten und zu erhalten für Kinder und Enkelkinder. Der Zauber von damals soll wieder neu glänzen. Es ist, als würden wir zu Weihnachten selber wie neu werden. Als weckte das Kind in der Krippe bei uns die Sehnsucht, neu anfangen zu können.
Neu werden, erneuert werden, das scheint Weihnachten zu versprechen. Auch unsere Wohnungen und Häuser machen da mit. Vor dem Fest wird neben all dem, was sonst zu bedenken und zu erledigen ist, meist auch aufgeräumt und sauber gemacht. Und dann wird geschmückt. Die Zweige erhalten Anhänger, Fensterbilder und Figuren kommen hinzu und viele Kerzen. So, als bräuchten wir ein neues Licht in dieser dunklen Zeit.
Und bei all dem Weihnachtsschmuck ist oft auch ein Stück Papier dabei, das sich flach weglegen lässt, aber auch aufgestellt werden kann: ein Transparentbild. Ein Bild, hinter dem ein Licht aufgestellt wird, damit es durch das Bild hindurchscheint. Und so leuchtet in vielen Stuben ein kleines Bild, meist ist es wohl die eine oder andere Darstellung der Geburt im Stall. Der Rahmen des Bildes geht über in die Wände des Stalles. Darüber steht ein Stern. Ochse und Esel dürfen nicht fehlen, manchmal auch Hirten und Könige, dann Maria und Josef und die Krippe und darin das Kind. Von ihm geht am meisten Licht aus. Hier leuchtet das kleine Transparent am hellsten.
Diese Bilder sind wie ein Fenster in eine andere Welt. So als würden wir hinausschauen in eine andere Wirklichkeit, als könnten wir, obwohl wir auf einen Stall blicken, ein Stück Himmel sehen. Ein Stück Himmel auf Erden. Und das kleine Lichtbild verbreitet einen Glanz, der zwar nicht hell ist, der aber mehr leuchtet, uns mehr erleuchtet als manche elektrische Birne.
Wie ein Transparentbild, das leuchtet, so steht zu Weihnachten die Geburt Jesu da: Wir sehen mehr als nur eine Geburt, wir sehen dahinter Gott. Aber das besondere daran ist: Nicht nur wir sehen Gott neu, Gott sieht auch uns neu durch diese Geburt. Wir blicken durch das Bild auf Gott, aber Gott blickt auch durch das Bild auf uns.
Vielleicht ist das der Zauber, der Weihnachten ausmacht. In der Geburt im Stall erkennen wir etwas, das größer ist, als wir es in Worte fassen könnten. Wir erkennen Gott. Und nicht nur das: Auch wir werden erkannt, auch wir stehen in einem neuen Licht da. Gott erkennt uns in dieser Geburt.
Das Bild vom Transparent hilft uns, Weihnachten zu verstehen. Ein neues Licht leuchtet für uns. Natürlich muss man nicht hingucken. Es gibt ja auch viele andere Lichter. Da ist vieles andere, was leuchtet und auf sich aufmerksam machen will. Da sind die vielen anderen großen Lichter, und vielleicht wollen wir ja auch selbst so ein großes Licht sein. Wo zuviel anderes Licht ist, da ist das Licht im Stall schwer zu sehen. Doch da, wo wir nicht nur auf die Lichter und Leuchten starren oder das neue „ewige Licht“, den Bildschirm, da sehen wir ein kleines Bild, ein Transparent, das die ganze Welt leuchten lässt. Das kleine Licht im Stall von Bethlehem ist das große Licht, das alle Dunkelheiten erleuchten kann.
Gott öffnet sich für das Dunkel unserer Welt. Er öffnet sich auch für das Dunkel in uns. Lassen wir ihn doch leuchten in der Welt und in uns. Was mühen wir uns um andere Lichter! Hier im Stall von Bethlehem ist das wahre Licht, das Licht Gottes. Durch die Geburt Jesu scheint in alles Dunkel ein Licht. Der Stall am Rande der kleinsten Stadt ist ein Bild für alle Dunkelheiten, die in und um uns sind. Und gleichzeitig erleuchtet er alles Dunkel. Und auch Gott leuchtet für uns neu.
Das Transparentbild wird irgendwann nach Weihnachten wieder zusammengelegt und weggepackt. Doch das Licht, das da hindurchschien, leuchtet weiter im Dunkeln und es wird weiter leuchten, bis alles hell und klar ist.

Propst Peter Godzik, Ratzeburg