Die Wendung zum Heil

Am Ansverus-Kreuz in der Nähe von Ratzeburg denken wir alljährlich an das Martyrium des Abtes Ansverus und seiner Gefährten vor über 900 Jahren. Wir erinnern uns auch an die vielen Zeugen und Märtyrer des Glaubens, die sich durch Leid und Tod hindurch nicht haben beirren lassen in ihrem Vertrauen auf Gott. Zornige Gefühle für so überaus zahlreich erlittenes Unrecht im Laufe der Jahrhunderte mögen uns beschleichen – es hat Christen und Nichtchristen betroffen, und was vielleicht am schlimmsten ist: Auch von Christen ist das Martyrium anderen zugemutet worden, vor allem dem jüdischen Volk in den schrecklichen Jahren nationalsozialistischer Herrschaft in Deutschland.
„Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache“, heißt es beim Propheten Jesaja (Kap. 35, Vers 4). Aber dann wendet sich das Blatt – und das ist ganz wörtlich zu verstehen in meiner Ausgabe der Luther-Bibel: Auf der anderen Seite, auf der liebevollen und barmherzigen Seite Gottes, geht es ganz anders weiter, als wir Menschen es uns in unserer Wut und Empörung vorstellen können. „Gott, der da vergibt, kommt und wird euch helfen“: So ist er gekommen in unser Lauenburger Land mit seinem Wort und Sakrament und hat die Wunden der heidnischen Aufstände geheilt in den Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten nach dem Märtyrertod des Ansverus und seiner Gefährten. Der Ratzeburger Dom konnte gebaut werden und die zahlreichen Kirchen im Lauenburger Land. Durch die Irrungen und Wirrungen weltlicher und kirchlicher Geschichte hindurch sind wir zu ökumenischer Gemeinschaft herangewachsen und bezeugen unseren christlichen Glauben nun gemeinsam vor der Welt, damit die Welt glaube und wir eins werden in Christus. Auch die tiefen Wunden unserer jüngeren Vergangenheit mit den Schrecken des Krieges, der Vertreibung und der Teilung unseres Landes durften heilen durch die Güte Gottes. Wir haben einen Gott, der Überraschungen liebt, Wendungen zum Heil, mit denen wir nicht mehr gerechnet haben. Wie es in unserem Text heißt: „Gott kommt und wird euch helfen: Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein.“ (Jesaja 35,4b-7a)
Aus der heidnischen Trockenheit und Dürre dieses Landes hat Gott eine blühende Landschaft gemacht, die aus den Quellen des christlichen Glaubens schöpft. Wir dürfen nicht zulassen, dass dieses Blühen und Gedeihen wieder in die Dürre menschenfeindlicher Umtriebe zurückfällt. Wir sollten uns gegenseitig versprechen, einzutreten für Menschenfreundlichkeit, und allen rechtsradikalen Umtrieben eine klare Absage erteilen. „Saget den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht!“ Wir sind nicht allein in unserem Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden: „Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.“

Propst Peter Godzik