Kraft aus der Höhe

Das Lukasevangelium erzählt von der Himmelfahrt Jesu (24,50-53). Zum zweiten Mal nehmen die Jünger Abschied von Jesus. Doch diesmal ist alles ganz anders als beim ersten Mal: Sie spüren das Licht und die Wärme, die von ihm ausgeht. Es ist gut so, wie es ist. Sie können ihn loslassen und haben ihn doch alle Zeit bei sich. Fröhlich und voller Zuversicht kehren sie wieder in ihren Alltag zurück. Es gibt für sie noch so viel zu sagen und zu leben.
Solche beglückenden Erfahrungen machen Menschen auch noch heute. Freilich erst nach einem langen Weg durch Traurigkeit, Zweifel und Anfechtungen. Wenn wir einen geliebten Menschen verlieren, dann können wir es erst gar nicht fassen, leugnen die Realität des Todes oder wollen in einer Art Überreaktion möglichst schnell alles hinter uns bringen. „Kurz und schmerzlos“ soll es sein: das Sterben und das Trauern.
Aber so glatt geht es im Leben und auch im Sterben nicht. Es wäre wohl auch nicht gut für uns, so ganz ohne Anstoß und Herausforderung zu bleiben. Wir sollen schließlich einen Weg gehen, der uns verwandelt: durch Schmerzen zum Licht. Die Jüngerinnen und Jünger Jesu sind diesen Weg gegangen, jede auf ihre, jeder auf seine Weise.
Als er starb, hüllte sich ihr Leben in Finsternis und Verlorenheit. Sie waren niederge-schlagen und voller Angst. Die Traurigkeit ließ sie stehen bleiben auf ihrem Weg durchs Leben. Es war ihnen, als wäre alles zu Ende. Aber der Geliebte war ihnen doch nahe und ging mit ihnen. Angestoßen von ihm konnten sie sich alles vom Herzen reden, was sie bedrückte. So kamen sie wieder in Bewegung, schauten rückwärts zwar, aber öffneten doch wieder ihre Augen. Begleitet und getröstet von seiner Liebe begannen sie allmählich zu verstehen. Er machte ihnen ein Geschenk: die Fähigkeit, mit seinen Augen zu sehen, durch Dickicht und Unklarheiten hindurch den Willen Gottes zu erkennen, seine Liebe und Güte.
Noch einmal spürten sie die Wärme und verwandelnde Kraft seiner Nähe. Augen und Herzen gingen ihnen auf, sie konnten wieder lieben. Am liebsten hätten sie diese Erfahrung für immer bei sich behalten, diesen beglückenden Augenblick des tiefen Erkennens. Aber da machte Jesus ihnen sein letztes Geschenk: Er ließ sie gehen in ihr alltägliches Leben zurück zu den Menschen und Aufgaben, die auf sie warteten, mit seinem Segen.
Und nun konnten sie die Trennung verkraften. Sie war nicht wie das erste Mal ein Schock, ein unbegreifliches Einstürzen aller Hoffnungen und Erwartungen. Nein, diesmal konnten sie ihn loslassen, weil sie wussten, dass sie ihn unverlierbar bei sich hatten. Sie konnten leben mit großer Dankbarkeit und Freude. Und was das Schönste von allem war: Sie waren wieder voller Erwartung gegenüber dem Leben und gegenüber Gott.
So lange dauert es manchmal, bis aus einem Karfreitag Himmelfahrt und Pfingsten wird. Aber auch wenn uns der Weg schier endlos vorkommt: Gott lässt uns nicht allein, sondern schenkt uns die Kraft aus der Höhe.

Propst Peter Godzik