Zur Friedwald-Debatte

Wenn die Friedhöfe das Spiegelbild einer Gesellschaft und ihres Umgangs mit dem Tod sind, dann zeigt deren Auslagerung aus den Städten und Dörfern in Europa den allmählichen Auszug der Toten aus der Gemeinschaft an. Dieser Prozess beginnt bereits im 14. Jahrhundert, als die Pesttoten auf außerhalb gelegene Pestfriedhöfe ausgelagert werden. Im 19. Jahrhundert wird durch die Anlage von Zentralfriedhöfen weit vor den Toren der wachsenden Metropolen das Band zwischen der Gemeinschaft der Lebenden und dem Ort für die Toten schon aufgrund der kilometerlangen Entfernung, endgültig abgeschnitten.

 

Im 20. Jahrhundert steigt die Nachfrage nach anonymen Begräbnissen, nachdem der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tod und das Totengedenken verblasst sind: "In dem Bewusstsein, vergessen zu werden, wählen die Sterblichen zu Lebzeiten diese Form der Bestattung, denn welchen Sinn machte es dann noch, durch besondere Zeichen darauf hinzuweisen: Hier liegt X.?" (Bernd Mattheus)

 

Eine Kultur entwickelt sich jedoch nur dort, wo sich die Menschen ihrer Verstorbenen erinnern, schreibt der Literaturwissenschaftler Robert Harrison: "Wo die Toten einfach tot sind, sind die Lebenden in gewissem Sinne ebenfalls schon tot. Umgekehrt erhält dort, wo das jenseitige Leben der Toten neues Leben empfängt, die Erde als ganze einen neuen Segen."

 

Ganz ähnlich sagt Reimer Gronemeyer über die moderne Ahnenlosigkeit: "Vielleicht sind solche Gesellschaften, die ihrer Ahnen nicht mehr gedenken, in der die Toten nicht anwesend sind, selber tot, selbst innerlich erstarrt, weil sie in keinen Rhythmus mehr eingebunden sind, in den Rhythmus des Werdens und Vergehens. Wir sind eine erinnerungslose Gesellschaft, eine ahnenlose und damit vielleicht auch eine ahnungslose."