von Peter Godzik
Lange hatte sie nicht mehr weinen können. Der Gesichtsausdruck war etwas starr geworden unter dem gefesselten Herzen. Sie gab sich Mühe, mit den Anforderungen des Alltags zurechtzukommen, aber es wurde immer schwerer angesichts des nicht gelebten Lebens. Es lag ihr wie ein Stein auf dem Herzen: Sollte es das nun gewesen sein bis zum Ende ihrer Tage? Dann geschah doch noch das Wunder: Der, auf den sie so lange gewartet hatte, kam. Er erreichte das lang verdrängte und aufgestaute Gefühl mit einfühlsamen Worten und einer liebevollen Geste. Da füllten sich ihre Augen mit Tränen und sie konnte wieder weinen. Das Herz schmerzte, aber es fühlte sich wieder lebendig an. Der Stein löste sich und die innere Lebensquelle fing an zu sprudeln. Er ließ es ganz einfach geschehen und sagte nur zu ihr: "Augen sind auch zum Weinen da. Sie glänzen, wenn die lebendige Seele sichtbar wird." Sie konnte es kaum fassen, dass ihr noch einmal diese Liebe geschenkt wurde und das Leben auf einmal wieder einen Sinn bekam. Beim Propheten Hesekiel heißt es: "Ich will das steinerne Herz wegnehmen aus ihrem Leibe und ihnen ein fleischernes Herz geben, damit sie in meinen Geboten wandeln und meine Ordnungen halten und danach tun." Einen gesegneten Abend wünscht Ihnen Peter Godzik, Propst in Ratzeburg.
Die ganze Zeit hatte er sich angepasst. Das Gesicht war schon ganz grau geworden und die Haltung etwas gebeugt. Er versuchte, es allen recht zu machen. Aber sich selber hatte er verloren - und seinen einst so unbändigen Mut auch. Menschen seiner Umgebung nahmen es zuerst wahr und machten sich Sorgen. Sie fragten ihn, was denn los sei, aber er konnte keine rechte Antwort geben. Da hörte er eine leise Stimme in seinem Innern seinen Namen sagen. Es klang zärtlich und genau, fragend und ermutigend zugleich. Nicht so besorgt und fordernd wie seine Freunde, sondern eher leicht und freundlich. Da lächelte er, richtete sich wieder auf und ging seinen eigenen Weg. Nicht mehr so ängstlich und angespannt, sondern mutig und fröhlich. Die anderen fragten sich, woher er die Kraft nähme, so unbefangen unterwegs zu sein. Und sie freuten sich über einen lebendig gewordenen Menschen. Im Römerbrief des Apostels Paulus lesen wir: "Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist." Einen gesegneten Abend wünscht Ihnen Peter Godzik, Propst in Ratzeburg.
Wen hatte sie nicht schon alles gefragt und aufgesucht: die Freundinnen und Freunde, den Lebensberater und manch andere Ratgeberin auch. Karten hatte sie gelegt und Horoskope gelesen - aber sie blieb merkwürdig leer und unberührt von all den Vorschlägen und Lebensrezepten der zu Rate gezogenen Leute. Sie wusste immer noch nicht, wie es weitergehen sollte mit ihr im Leben. Da begegnete ihr ein leises und einfaches Wort auf einem Kalenderblatt, das ihr der Pastor beim Besuch in der Kurklinik geschenkt hatte: "Lass Dir an meiner Gnade genügen, meine Kraft ist in den Schwachen mächtig." Und sie wusste, wo sie künftig suchen wollte: nicht dort, wo so absichtsvoll geraten und beraten wurde, sondern da, wo liebevolle Aufmerksamkeit zu spüren war. Gott redete so zu ihr: in einem leisen und einfachen Wort. Das spürte sie deutlich. Und sie erinnerte sich an die Segensworte in ihrem Leben: Mit ihrer Hilfe würde sie die Kraft entwickeln, die Krankheit zu überwinden. Beim Propheten Jesaja begegnet uns die Mahnung: "Wenn sie aber zu euch sagen: ihr müsst die Totengeister und Beschwörer befragen, so sprecht: Soll nicht ein Volk seinen Gott befragen?" Einen gesegneten Abend wünscht Ihnen Peter Godzik, Propst in Ratzeburg.
Sein ganzes Leben lang hatte er sich für Veränderungen eingesetzt. Wo er hinkam, mutete er den Leuten Aufbrüche zu. Seine Dynamik kannte beinahe keine Grenzen. Er war stolz darauf, andere nicht in Ruhe zu lassen. Er baute und gestaltete, wo er nur konnte. Und er war stolz auf all das Erreichte. Dann entdeckte er plötzlich einen anderen Rhythmus, sozusagen den Unterfaden seines aufregenden Lebensgewebes. Was war es denn, was ihn hielt und was ihm die Kraft gab? Es war sein tiefes Vertrauen in das Liebenswerte allen Lebens. Selbst die Schlimmsten, denen er begegnet war, hatten etwas von diesem Glanz. Sie versteckten ihn manchmal sorgfältig und mochten ihn ums Verrecken nicht zeigen. Aber wenn er geduldig war und länger hinschaute, konnte er auch bei ihnen diese Liebe zum Leben entdecken. Es war wie die Frucht seiner langen Lebenserfahrung. Auf einmal wollte er nicht mehr so viel ändern. Nur entdecken und anschauen den Goldgrund von allem. So lesen wir im ersten Buch Mose im zweiten Kapitel: "Gott, der Herr, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte." Einen gesegneten Abend wünscht Ihnen Peter Godzik, Propst in Ratzeburg.