In einem Kaleidoskop von zwölf Szenen beschreibt Barlach in seinem Drama "Der arme Vetter" (1918) den Spannungsbogen der damaligen Gesellschaft: ein Ausflugsdampfer voller vergnügungssüchtiger Großstädter, die wenig Rücksicht nehmen auf andere; ein junges, frisch verlobtes Paar, das intensivere Begegnung sucht bei einem Spaziergang an der Elbe und bei dem doch am Ende jeder bei sich selber bleibt; ein Einzelner, der sich mit Sinnfragen herumschlägt und den Weg in eine bessere Welt partout nicht finden kann (oder will) und deshalb seinem Leben ein Ende setzt.
Nur Lena schafft es, sich von ihrem Verlobten zu trennen. Sie findet zu eigenem, aufrichtigem Leben. In ihr spiegelt sich wider, was Barlach selbst erlebt hat: "Ich habe das alles tödlich und schwer erlitten und habe mich durch die Arbeit befreit. Man braucht nicht zum Revolver zu greifen, sondern kann Vertrauen haben und hoffen" (B I 539). Vertrauen und Hoffnung zu bewahren angesichts leichtsinniger und vergnügungssüchtiger Menschen ist in Corona-Zeiten gar nicht so einfach.
Der "arme Vetter" ist Barlachs Ausdruck für den armen, bedauernswerten Menschen, der sich so von dem "hohen Herrn", von Gott, unterscheidet, dass er sich beständig mit der eigenen Existenz und seiner Zukunftsgestaltung auseinandersetzen muss.