Vor hundert Jahren, unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs, schrieb Barlach das Drama "Der Findling" (1922). Es hat seinen Namen von einem elenden, verkrüppelten Kind, das von einem Flüchtlingspaar auf der Flucht liegen gelassen wird. Kriegsflüchtlinge sind es, die beschimpft und geschlagen, ausgehungert und krank umherirren unter beißendem Sturm und strömendem Regen durch aufgeweichten Lehmboden. Ein Schreckensregiment, das Menschen frisst, scheucht sie vor sich her. Aber der Schrecken kehrt sich um: Der Urheber wird erschlagen, als Mahl zubereitet und den Hungrigen angeboten. Die Protagonisten Elise und Thomas sind die einzigen, die sich nicht am Menschenfraß sättigen. Sie nehmen sich stattdessen des Findelkindes an, das sich als strahlendes Kind, als Gottesgeschenk, entpuppt.
Barlach hat an diesem Werk besonders gehangen, es war einst seine große Hoffnung. Schmerzlich berührte ihn das mangelnde Echo "dieses gewissermaßen unter den Tisch gefallenen ... liebsten meiner Stücke" (B II 669).
Wohl in keinem der modernen Theaterstücke kommt das Elend der Kriegsflüchtlinge so sehr zur Sprache wie gerade in diesem Barlach-Drama. Trotz der drastischen Ausdrücke und krassen Beschreibungen lebt es von einer großartigen Hoffnung: der Liebe zum Leben durch ein vorbehaltlos angenommenes Kind.