DER DOM 46/1994 (Paderborn)

Vom Leben durch den Tod zum ewigen Leben

Wandel der Hoffnung

In vielen Glaubensaussagen der Christen und der Juden kann niemand vor Gottes Angesicht treten, ohne zu sterben. Wird diese Aussage umgekehrt, so kommt nur der vor Gottes Angesicht, der stirbt. Das ewige Leben als neue Seinsform kann kein Mensch beschreiben, weil es jenseits unserer irdischen Raum- und Zeitvorstellung seine Wirklichkeit hat.

Die Berichte von Menschen, die klinisch tot waren, sind keine über den Tod und das ewige Leben, über diese andere Wirklichkeit, denn es sind Aussagen von Lebenden und nicht von Toten. Diese Menschen sind in den Übergang von Leben und Tod gelangt und von dort ins Leben zurückgekehrt, aber nicht im Tod geblieben. In der Bibel gibt es von denen, die im Tod waren und aus ihm geholt worden sind, keine Beschreibung über das Totsein. Der Tod als solcher ist nicht der erwünschte Zustand, sondern die Auferstehung, das ewige Leben.

Das ewige Leben ist anders als das zeitliche Leben. So sprechen Christen dann auch von einer anderen, neuen Welt. Dort gibt es keine Tränen, dort ist kein Schmerz, kein Geschrei, sondern Gott sagt: "Siehe, ich mache alles neu." In der Offenbarung des Johannes heißt es: "Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott, wird mit ihnen sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe ich mache alles neu!"

Um zu meiner vollkommenen Identität zu gelangen, muß ich die alte abstreifen, muß ich durch den Tod neu geboren werden. Die alte Identität muß mit ihren Anfälligkeiten und Unzulänglichkeiten zerstört werden. Ich sterbe ganz und bin ganz tot, nicht nur ein wenig. In der Agende heißt es bei Beerdigungen: "Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zum Staube." Was bleibt, ist die Kontinuität der menschlichen Identität durch Gottes Treue und Schöpferhandeln über das Sterben hinaus.

Totsein ist für sich kein Zustand der Seligkeit, sondern wird es erst durch Gott. Gott schafft aus dem Nichts das Seiende, denn er ist ein Schöpfergott. Deshalb bleiben Christen auch nicht bei dieser Zerstörung der Identität durch den Tod stehen, sondern bitten darum, daß Gott die Verstorbenen in sein ewiges Reich nimmt, d.h. daß Gott sie aus dem Tod in das ewige Leben ruft. Ewigkeit ist die Zeit Gottes. Ewiges Leben ist Nähe zu Gott durch den Tod hindurch. Somit ist die Hölle die absolute Gottesferne.

Dieser Gedanke der Annahme des Menschen durch Gott, auch im Tod, wird gelehrt und verkündigt. Bei christlichen Begräbnissen wird er zum Beispiel so ausgesprochen: "Wir befehlen unseren Bruder/unsere Schwester in Gottes Hand. Jesus Christus wird ihn/sie auferwecken am Jüngsten Tag. Er sei ihm/ihr gnädig im Gericht und helfe ihm/ihr aus zu seinem ewigen Reich."

Wiltrud Hendriks

Dieser Text ist aus dem "Handbuch zur Begleitung Schwerkranker und Sterbender" entnommen, das die Autoren Andreas Ebert und Peter Godzik-im Auftrag der Vereinigten Evangelischen Lutherischen Kirche (VELKD) im E.B.-Verlag, Rissen, herausgegeben haben. Dieses Handbuch stellt eine gelungene Verbindung von praktischen Anregungen, geistlichen Texten und Gebeten sowie theologisch-psychologischer Einführung dar. Seelsorger und interessierte Gruppen werden gut damit arbeiten können. Bemerkenswert an diesem evangelischen Buch ist das schöne Kapitel über die Beichte.

Impulse aus dem Glauben | DER DOM | Nr. 46 | 13. November 1994