Eine Bemerkung von Doris Strahm in ihrem Buch "Aufbruch zu neuen Räumen. Eine Einführung in feministische Theologie" (Freiburg/Schweiz 3. Aufl. 1990) läßt mich zögern, unter dieser Überschrift etwas über das Verhältnis zwischen Männern und Frauen zu sagen.
Doris Strahm schreibt: "Wir sollten uns weigern, den Männern weiterhin als Spiegel und Projektionswand ihrer Verdrängungen und Sehnsüchte zu dienen, und alle männlichen Mythen über das Weibliche, seien sie religiöser, philosophischer oder psychoanalytischer Art, zurückweisen. Um dies tun zu können, müssen wir Frauen allerdings den schmerzhaften Weg der Selbsterkenntnis antreten und erkennen lernen, wie und wo wir uns solchen Mythen noch immer beugen, wo wir uns an ihrer Aufrechterhaltung (aktiv) beteiligen und uns im subtilen Gewebe männlicher Projektionen und Imaginationen noch heute verfangen." (S. 119)
Trotz dieser eindrucksvollen Warnung vor männlichen Projektionen und Imaginationen wage ich es, als Mann ein Bild von den Frauen zu entwerfen, von meinen Sehnsüchten und Wünschen zu sprechen und dabei deutlich zu machen, daß es um Vielfalt und Wachstum in den gegenseitigen Beziehungen zwischen Mann und Frau geht.
Meine These lautet: Jeder Mann wünscht sich (wie König David) mindestens fünf Frauen: eine Prinzessin, eine Partnerin, eine Mutter der Kinder, eine Geliebte, eine Wärme im Alter. Wohl dem Mann, der solche Wünsche nicht aufteilen muß auf verschiedene Personen, sondern die Erfahrung machen darf, daß seine Frau zu bestimmten Zeiten in all diese Rollen hineinwachsen kann und ihm nahe ist als die eine und ganze Person, die sie mit ihrer Geschichte und ihrer Entwicklung geworden ist.
Als ich diese These zum ersten Mal vor einer Gruppe von Frauen vortrug und damit meine Sehnsüchte gegenüber dem weiblichen Geschlecht offenbarte, wurde ich natürlich sofort mit dem Gegenbild und den Gegenwünschen konfrontiert: Dann müßten die Männer aber auch mindestens so attraktiv sein wie König David. Und der konnte bekanntlich viel: war Sänger und Krieger, König und Liebhaber, Vater und Weiser.
Es ist nun interessant zu sehen, wie feministische Exegese die Frauen beurteilt und schätzen lernt, die David auf seinem Lebensweg begegnet sind.
Da ist zunächst Michal, die Prinzessin, die Tochter des Königs Saul, eine Jugendliebe Davids, die er durch imponierende Heldentaten für sich zur Frau gewinnt. Sie schützt ihn vor den eifersüchtigen Nachstellungen ihres Vaters und ermöglicht seine unversehrte Flucht vom Königshof. Nach dem Tod ihres Vaters kehrt sie zu David zurück, der nun selber König geworden ist. Aber sie lacht ihn aus, als er, außer sich vor Freude, vor der Bundeslade hertanzt, die auf seinen Wunsch nach Jerusalem gebracht wird. Prinzessinnen teilen nicht gern die ihnen entgegengebrachte Aufmerksamkeit, schon gar nicht mit einer "überweltlichen" Konkurrenz, gegen die sie nichts auszurichten vermögen. Und so bleibt diese an sich traumhafte Verbindung unfruchtbar und kinderlos. (1. Samuel 18-19; 25; 2. Samuel 3; 6)
In Abigail (1. Samuel 25) begegnet David während seiner Zeit als Anführer einer Streifschar eine wirkliche Partnerin, die ihn vor seiner unbedachten Wut bewahrt. Mitten in das törichte Verhalten von Männern, die sich gegenseitig verhöhnen und provozieren, bringt sie ihre Klugheit und ausgleichende Art ein und verhindert so ein schreckliches Blutvergießen und Mord und Totschlag. Ihren Mann Nabal ärgert das entgegenkommende Verhalten seiner Frau so sehr, daß ihn vor Zorn der Schlag trifft und er nach einigen Tagen stirbt. David hat nicht vergessen, wer ihn vor schlimmer Blutschuld bewahrt und mitgeholfen hat, daß er seine Rache Gott überlassen konnte. Er schickt Boten zu Abigail und läßt sie fragen, ob sie seine Frau werden will. Sie will und wird seine Frau.
Als König von Juda bleibt David siebeneinhalb Jahre in Hebron und heiratet neben Abigail noch eine Reihe von anderen Frauen: Ahinoam von Jesreel, Maacha von Geschur, Haggith, Abital und Egla. Sie alle werden die Mütter seiner sechs Söhne, die ihm in Hebron geboren werden.
Als König über ganz Israel und Juda regiert David dreiunddreißig Jahre in Jerusalem und nimmt sich noch weitere Frauen und Nebenfrauen, mit denen er elf Söhne und zahlreiche Töchter bekommt. Keine der Frauen wird mehr mit Namen erwähnt - außer einer: Bathseba, seine Geliebte, die Frau des Hethiters Uria.
Die Bathseba-Geschichte (2. Samuel 11-12) wird gern als typische Männergeschichte abgetan: Ein König begehrt eine schöne Frau; sie wird unverhofft schwanger; der König versucht, sich geschickt aus der Affäre zu ziehen; es gelingt ihm nicht wie geplant; da schickt er den rechtmäßigen Ehemann in den Tod und nimmt die verwitwete Frau zu sich.
Bei näherem Hinsehen wird deutlich, welchen Preis David für seinen Liebeshunger zahlt. Der Prophet Nathan hält ihm seine Blutschuld vor und kündigt ihm als Folgen seiner unheilvollen Tat an: Das Kind dieser heimlichen Verbindung wird sterben; Kriege und Aufstände werden unablässig das Königshaus erschüttern; und sein eigener Sohn Absalom wird eines Tages dem Vater mit der Königswürde auch seine vielen Frauen rauben und seine Ehre vor aller Welt mit Füßen treten.
Spannend wird die ganze Geschichte aber erst, wenn sie aus der Sicht der Frau erzählt und verstanden wird: Bathseba fühlt sich vernachlässigt von ihrem Gatten, der ein hoffnungsloser Soldat geworden ist und seine Männer und seine Heldentaten mehr liebt als sie; es gelingt ihr, die Aufmerksamkeit des Königs auf sich zu ziehen, sie wird eingeladen und geht zu ihm; eine einzige Begegnung mit diesem königlichen Mann genügt, daß sie schwanger wird; und sie trägt daran nicht allein, sondern bezieht den König mit ein; sie trauert mit ihm um das Kind der ersten Liebe und schenkt ihm den Sohn, der einmal sein Nachfolger werden soll: Salomo; beherzt mischt sie sich ein, als es kurz vor Davids Tod zu Thronstreitigkeiten unter den Söhnen kommt (1. Könige 1-2), und findet den Propheten Nathan an ihrer Seite.
Torgny Lindgren, der schwedische Erzähler, hat ihr einen seiner großen Romane gewidmet: Bathseba, mit dreizehn Jahren vom Vater an einen ungeliebten Mann gegeben, gewinnt das Gefallen des Königs. Staunend nimmt sie anfangs ihre neue Rolle wahr, um dann mehr und mehr zu begreifen, wer sie als Frau ist. Sie zweifelt daran, daß Gott nur in den Männern ist. Sie durchschaut Davids Übertreibungen. Sie nimmt an wichtigen Konferenzen teil und schaltet lästige Konkurrentinnen aus. Sie entwickelt sich zur selbstbewußten und modernen Frau und läßt sich am Ende die Macht nicht nehmen. Ihr Sohn ist und bleibt der Nachfolger des Königs, und sie hat den Propheten Nathan dabei an ihrer Seite. Als David im Sterben liegt und flüsternd fragt: "Wie ist der Herr?", antwortet sie ohne Zögern aus ihrer sicheren Wärme heraus: "Er ist wie ich. Er ist genau wie ich."
Die Geschichte mit Bathseba hat David verwandelt. Er, der vorher immer ein Draufgänger gewesen war und nie Schuld hatte an all den menschlichen und politischen Katastrophen um ihn herum, wird auf einmal ein nachdenklicher und zurückhaltender Mann. Er trumpft nicht mehr auf in den kommenden Auseinandersetzungen seines Lebens. Er weicht eher zurück, er versteht und verzeiht, er wird einfühlsam und weise.
Einen der schönsten Psalmen der Bibel verdanken wir dieser dramatischen Geschichte zwischen einem königlichen Mann und einer ebenso königlichen Frau, die sich bis auf den heutigen Tag in vielen Variationen auf unterschiedlichen Ebenen wiederholt:
Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz,
und gib mir einen neuen, beständigen Geist.
Verwirf mich nicht von deinem Angesicht,
und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir.
Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe,
und mit einem willigen Geist rüste mich aus. (Psalm 51,12-14)
Nachzutragen bliebe an dieser Stelle noch Abisag von Sunem, die König David als "Wärme im Alter" beigegeben wurde (1. Kön. 1,1-4), woraus sich in der Patriarchatsgeschichte der "Sunamitismus" entwickelte. Torgny Lindgren überläßt in seinem Roman am Ende diese Aufgabe auch Bathseba.