Die Reichskrone stammt aus ottonischer Zeit. Es ist wahrscheinlich, dass die Bildplatten "David" und "Salomo" auf der Reichskrone die historischen Personen der beiden Ottonen, Vater und Sohn, repräsentieren, die sich zur imitatio des biblischen Vorbildes berufen fühlten. Der gleiche Rang von Vater und Sohn passt auch zu jener Heiligkeit eines altgermanischen "Geblütsrechtes", das auch nach der Christianisierung bewahrt blieb.
Die Hervorhebung Salomos (links neben der Stirnplatte die aktuelle politische Situation beschreibend, während rechts neben der Stirnplatte das erhabene sakrale Bild der Majestas Domini erscheint) weist in die Zeit nach 961, als Otto II. zum König erhoben wurde. Otto II., der noster Salomon im Umkreis des Hofes, nahm aber am Romzug des Vaters zur Kaiserkrönung 962 noch nicht teil.
Seine Krönung in Rom zum Mitkaiser wird erst am Weihnachtstag 967 von Papst Johannes XIII. in der Peterskirche vollzogen, nachdem Otto der Große die römischen Widerstände endlich bezwungen hatte und der neue Papst fast den Rang eines ihm willfährigen Hofbischofs einnehmen musste. Deshalb ist zu fragen, ob sich die Entstehung der Krone nicht in die Vorbereitungen dieses vornehmlich Sohn Otto II. angehenden Ereignisses einordnen lässt.
Die abendländische Reichskrone ist das Vermächtnis Bruns von Köln an seine Familie. In der Chronik des Thietmar von Merseburg (975-1018) findet sich bisher unausgewertetes Material über Bruns Stellung zu einer corona regni. Schon seit den fünfziger Jahren des 10. Jahrhunderts hatte Brun, der Bruder Ottos des Großen und Erzbischof von Köln, auf höchster Ebene ein politisches Werk in Angriff genommen, aus dem am Ende tatsächlich ein universales christliches Imperium geworden war.
Die Einrichtung des ottonischen "Reichskirchensystems" war seine Tat. Das von Otto unter dem Einfluss Bruns eingerichtete Reichskirchensystem unterstellte mittels der Bischöfe die gesamte Kirche der Krone. Was immer dahingegangen sein mag, die große missionarische Politik Bruns ist bleibend festgehalten in einer kleinen Insignie einer Essener Goldschmiede.
Betrüblich ist, dass ein besonders wertvoller Stein aus der Krone verloren ging, der berühmte "Waise". Das jetzige Kronenkreuz über der Stirnplatte ist eine nur wenig jüngere Ergänzung eines wahrscheinlich schon vorher vorhandenen Kreuzes.
Der achtlappige Bügel entstammt nachweislich der Zeit Konrads II. (1024-1039). Seine aus Perlen gebildete Inschrift lautet: CHUONRADUS DEI GRATIA ROMANORU(m) IMPERATOR AUG(ustus). Es ist nicht ganz sicher, ob Konrad den Bügel anstelle eines älteren, beschädigten hat anbringen lassen.
Die Reichskrone ist die einzige Herrscherkrone der Welt, die statt der Rundung eine achteckige Form aufweist. Sie ist damit ein Symbol für die Auferstehung Christi und zugleich für den Anbruch der Endzeit, die im Bilde des himmlischen Jerusalems für die Christen zur endgültigen Wirklichkeit wird.
Das Achteck kehrt auch im Bau der Baptisterien wieder. Der Kaiser trägt also die getaufte Christenheit auf dem Haupt.
Wie tief sich die für eine Krone einzigartige oktogonale Gestalt dem allgemeinen Bewusstsein einprägte, bestätigt Walther von der Vogelweide, der im Vergleich mit ihr die Rundkronen der Vasallen verächtlich als "circuli" abtat: "Doch weh dir, deutsches Volk, wie steht es mit deiner Ordnung! ... Die Zirkelkronen sind zu mächtig, die kleinen Könige bedrängen dich: Philipp setz den Waisen auf und lass sie zurücktreten."
Stirn- und Nackenplatte sind jeweils bedeckt von 12 Edelsteinen verschiedenster Qualität und Farbe, dazwischen eine große Anzahl von Perlen. Es sind die 12 Edelsteine aus dem Brustschild des Hohenpriesters und die 12 Edelsteine aus dem Grundriß des himmlischen Jerusalems. Sie symbolisieren die 12 Stämme Israels und die 12 Apostel des Lammes. Damit enthüllen Stirn- und Nackenplatte den priesterlich-sakralen Charakter der Reichskrone. Der König ist auch Priester: rex et sacerdos.
Diese Formel spielte schon eine bestimmende Rolle bei der Salbung des Franken Pippin in St. Denis 754, die mit Fug und Recht als Ursprungsdatum für die Weltgeltung der karolingisch-ottonischen Dynastien gilt. Dem gemäß entspringt in ottonischer Zeit das Priestertum des Königs aus dem Akt der Salbung, ja hier aber auch aus dem Akt des Aufsetzens der Krone. Denn im "Mainzer Ordo" spricht der Erzbischof gerade im Vollzug der Krönung dem König die Teilhabe am geistlichen Amt zu!
Reinhart Staats, Theologie der Reichskrone.Ottonische "Renovatio Imperii" im Spiegel einer Insignie, Stuttgart: Anton Hirsemann 1976.