Ein besonderer Lehrer: Eberhard Cold
Als Quartaner des altsprachlichen Zweigs am Alten Gymnasium in Flensburg begegnete ich 1959/60 dem damaligen Studienassessor Dr. Eberhard Cold. Für ein Jahr war er mit den Fächern Deutsch und Religion mein Klassenlehrer. Durch ihn lernte ich die Geschichte vom Ochsen und seinem Hirten kennen, die ich erst viele Jahre später durch einen Vortrag von Professor Nishimura aus Kyoto in Japan verstand. Seitdem begleitet mich diese Geschichte, die eine tiefgehende Einsicht und Wandlung beschreibt. In meinem Buch "Der eigenen Trauer begegnen" habe ich sie auf den Wandlungsweg der Trauer bezogen.
Mich hat immer sehr beschämt, wie rigide am Ende die evangelische Kirche und die Schulbehörde in Schleswig-Holstein mit den Gaben und Fähigkeiten von Eberhard Cold umgegangen sind. Es gab auch Zeiten der Geduld, des Gespräches und der Förderung. Ich hätte mir gewünscht, diese Ansätze wären nicht so sang- und klanglos aus dem Blickfeld geraten. So musste Eberhard Cold einen schweren weiteren Weg durchs Leben gehen.
Aber immerhin hat er mich auf Eugen Herrigels Büchlein "Zen in der Kunst des Bogenschießens" aufmerksam gemacht. Darin findet sich ein Satz über das Schüler-Lehrer-Verhältnis im Zen-Buddhismus: "Wie man mit einer brennenden Kerze andere anzündet, so überträgt der Lehrer den Geist der rechten Kunst von Herz zu Herzen, damit sie licht werden. Wenn es dem Schüler beschieden sein sollte, er-innert er sich, daß wichtiger als alle noch so bestechenden äußeren Werke das innere Werk ist, welches er vollbringen muß, wenn er seine Bestimmung gerade als Künstler erfüllen soll."
Als im Jahr 2011 der Verlag "Das klassische China" Eberhard Colds Übersetzung des Tao Te King von Lao Tse aus dem Jahr 1949 herausbrachte, ist sein religionswissenschaftliches Werk in einem bedeutenden Beispiel wieder an die Öffentlichkeit getreten.
Dan 12,3: Und die da lehren werden leuchten wie des Himmels Glanz und die viele zur Gerechtigkeit weisen wie die Sterne immer und ewiglich.
Hebr 13,7: Gedenkt eurer Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben; ihr Ende schaut an und folgt dem Beispiel ihres Glaubens.
Eberhard Cold besuchte mit uns die Karl-May-Spiele 1959 in Bad Segeberg. Zum zweiten Mal nach 1955 wurde dort "Hadschi Halef Omar" nach Motiven von Karl May gegeben.
Im Fach Religion hörten wir von Parmenides, Heraklit und Laotse. Der Lehrer konnte Sanskrit, Chinesisch und Japanisch. Brechts "Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration" hat er ins Bayerische und ins Plattdeutsche übersetzt.
Was Bertolt Brecht nicht kennen konnte, weil erst 1958 eine deutsche Ausgabe erschien, ist die altchinesische Folge von zehn Bildern, in denen der Mensch sich selbst zu überwinden sucht, um als ein Gewandelter auch andere Menschen von ihrem ich-haften Selbst zu erlösen und sie zu ihrem wahren Wesen zu führen: "Der Ochse und sein Hirte" im Verlag Günther Neske in Pfullingen.
Der Lehrer schrieb dazu: "Aber natürlich wird der selbstbefangene Mensch nicht durch einen müden Ochsen, sondern durch einen Stier symbolisiert, den der Erlösungswillige mit Härte zähmt, bis der Stier zum willigen Reittier des Gewandelten wird und den weiteren Weg der Wandlung von selbst geht ..." Mit Härte zähmen - das erlebten wir Schüler am enttäuschten und kriegsversehrten Lehrer und seinem weiteren Schicksal.
Von der Geschichte "Der Ochse und sein Hirte" verstand ich vorerst wenig. Erst 1988, knapp dreißig Jahre später, begegnete mir die ungewöhnliche Geschichte erneut in der sanften und humorvollen Interpretation des Zen-Meisters Prof. Nishimura aus Kyoto in Japan. Älter geworden verstand ich nun das Wegschema der Geschichte, das ohne Kampf eine Wandlung schildert, auch wenn es im vierten und fünften Bild um "Fangen" und "Zähmen" geht.
Erst spät habe ich verstanden, wie wichtig solche Spuren sind: Spuren der Liebe, der Wahrheit, der Gerechtigkeit; Spuren Gottes, auch Spuren z. B. der Trinität in der Bibel. Ohne Lehrer, Spurenleser und Pfadfinder wäre ich nicht darauf gekommen.