Die schwierigen Jahre (1939-1954)
Nach Hitlers Machtergreifung 1933, der Schließung des Bauhauses kamen schwierige Zeiten auf die unabhängige Kunst zu. Wanda Bibrowicz bekam immer weniger Aufträge. Die Werkstätten konnten sich jedoch bis Kriegsbeginn halten, sie selbst arbeitete bis zur deutschen Kapitulation 1945 innerlich diszipliniert unermüdlich künstlerisch weiter. Während der Kriegswirren erlebte sie Zusammenbrüche, die künstlerische Arbeit stärkte sie jedoch innerlich. Zu Kriegsbeginn war sie bereits 60 Jahre alt. Doch sie hielt in ihrer Arbeit nicht inne. Neben den Aufträgen für die Kirche in Heidenau entstanden damals zahlreiche andere Werke.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hörte die bis dahin dynamisch funktionierende Werkstatt zu existieren auf. 1945 war Wanda Bibrowicz 67 und Max Wislicenus 84 Jahre alt. Es fehlte die Kraft und es gelang beiden nicht, die Werkstatt wieder aufzubauen. Die Aktivitäten beider Künstler beschränkten sich auf die Pflege und Konservierung ihrer Werke. Die beruflichen Kontakte wurden abgebrochen. Die Regierung der DDR interessierte sich nicht für die Wiederaufnahme der Arbeiten in den seinerzeit berühmten Pillnitzer Werkstätten, ebenso wenig für die künstlerischen Errungenschaften beider Künstler. Wanda erlebte Enttäuschungen, die eine Ursache der späteren gesundheitlichen Probleme gewesen sein mögen.
Zum Glück wohnten in Dresden noch die früheren Bekannten, die sich an die Künstler wohl erinnerten. Unter ihnen: Karl Hanusch, Birnstengel, Rade, Winde, Fleming, Polte, Nerlich, Paul Andrae und Professor Balzer. Mit der "großen Welt" des Dresdener Kunstlebens hatten jedoch weder Wanda noch Max unmittelbare Kontakte. Aufgrund ihrer früheren Errungenschaften war Wanda Bibrowicz als Pädagogin und Künstlerin hochgeschätzt. Sie traf sich mit ihren früheren Schülerinnen, unternahm mit ihnen Ausflüge und nahm an ihrem Leben teil. Die Kontakte belebten und inspirierten sie. Noch im Alter von 70 Jahren (1948) stellte Wanda Bibrowicz den Gobelin "Weihnachten" her. Dies war vermutlich ihr letztes Werk, mit dem sie ihr Schaffen abschloss.
Bald sollten auch in ihrem persönlichen Leben Veränderungen auftreten. 1948 starb Else, die Ehefrau von Max Wislicenus, und wurde auf dem Friedhof der Hosterwitzer Kirche "Maria am Wasser" bestattet. Max und Wanda konnten heiraten, um ihre nicht nur künstlerische 50 Jahre andauernde Freundschaft zu legalisieren. Ihre geduldige Liebe erfüllte sich. Für die tief religiöse Wanda hatte dies eine grundsätzliche Bedeutung. Die Zeit der Unruhe, des Wartens und ständiger innerer Zerrissenheit war zu Ende. Ihre gemeinsame Partnerschaft bestand in dieser komplizierten Situation die Probe der Zeit. Sie fanden in sich all das wieder, was sie in ihren Träumen suchten. Die Heirat erfolgte vermutlich 1949.
Max zog in die Dienstwohnung seiner geliebten Wanda auf Schloss Pillnitz. Ihre Verbindung wurde von der Familie Wislicenus akzeptiert und man behält ihr Andenken bis heute herzlich in Erinnerung.
Am 17. Mai 1951 feierte man auf Schloss Pillnitz den 90. Geburtstag von Max Wislicenus. Das Fest für Freunde und Bekannte organisierte seine Frau, Wanda, damals bereits Bibrowicz-Wislicenus. Es war eine außerordentliche Feier, erfüllt von herzlichen Glückwünschen, Erinnerungen und Ehrungen. Die Dresdener Tageszeitungen berichteten über dieses Ereignis.
Zwei Monate später, am 4. August 1951, wurde in den Räumen des Pillnitzer Schlosses eine Ausstellung des Lebenswerks beider Künstler eröffnet, in der zahlreiche Werke ihrer gesamten Schaffenszeit gezeigt worden sind. Es war die letzte gemeinsame Ausstellung.
Wanda Bibrowicz wurde am Ende ihrer künstlerischen und pädagogischen Laufbahn von der Regierung der DDR anerkannt, sie bekam den Professorentitel verliehen und eine Ehrenrente auf Lebzeiten zugewiesen, die ihr ein bescheidenes Leben ermöglichte.
Die letzten Jahre waren für beide Künstler ausgesprochen schwierig, ihre Armut vergrößerte sich, sie bangten um ihr Schicksal. Wanda litt unter schwindender Sehkraft, was bei ihrem bewegten Lebenswandel und ihrer Arbeitsfreude besonders störend war. In der letzten Zeit konnte sie sich auch nicht mehr auf ihre bisher anhaltende Klarheit der Gedanken verlassen. Die Gebrechen behinderten sie sehr. Trotz dieser Schwierigkeiten gab sie nicht auf, sie blieb heiter und freundlich. Kurz vor ihrem Tod übergab sie ihr gesamtes Lebenswerk unentgeltlich dem deutschen Staat als Erinnerung an die Webwerkstätten auf Schloss Pillnitz. Ihre Werke wurden in die staatliche Sammlung aufgenommen.
Am 3. Juli 1954, einen Monat nach ihrem 76. Geburtstag, starb Wanda Bibrowicz. Max Wislicenus schrieb voller Trauer in seinen Notizen: "Ich hielt ihre liebe, schöne, jetzt so müde Hand."
Das Begräbnis fand in der alten Kirche "Maria am Wasser" in Hosterwitz in der Nähe von Dresden statt. Auf dem letzten Weg begleiteten sie die nächsten und treuen Freunde. Bestattet wurde sie auf dem schönen alten Friedhof neben der Kirche im Familiengrab der Wislicenus. Der nun einsame Max Wislicenus lebte noch drei Jahre an den in Form von Notizen hinterlassenen Erinnerungen zehrend. Er starb im Jahr 1957 und ruht zusammen mit Elsa und Wanda im Familiengrab.