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Sich fügen oder verfügen?

von Klaus Dörner

In der Frage der Patientenverfügung bin ich der Meinung, dass dieser Weg, den medizin-ethischen Problemen in Grenzbereichen rein rationale Lösungen zuzuführen, der falsche ist. ... Wenn ich mit die Diskussion anschaue, kenne ich außer mir keinen Menschen, vor allem keinen Arzt, der heute bereit ist, öffentlich zu sagen, er sei gegen eine Patientenverfügung.

Selbstverständlich gelten auch noch am Lebensende Wünsche, aber die Bedeutung von Wünschen in den Situationen, in denen es auf das Sterben zugeht, in denen also meine Selbstbestimmung nun endgültig in Fremdbestimmung noch stärker eingebettet ist, als es früher sowieso schon der Fall war, tritt immer mehr zurück.

Nach meinen Wünschen gefragt (sc. vom operierenden Arzt in der Klinik), konnte ich nur sagen: "Nun hören Sie doch endlich auf mit Ihren blödsinnigen Wünschen. Ich hab keine Wünsche und ich habe auch keinen besonderen Willen. Ich bin jetzt in Ihrer Hand und möchte einzig, dass Sie diese Ihre Hand möglichst so nutzen, dass Sie Ihr Handwerk gut verrichten. Und alles andere spielt für mich keine Rolle mehr. Ich gebe mich in Ihre Hände und wie Sie es für richtig halten, so wollen wir es machen - und nicht, wie ich es für richtig halte! Ich kann mich nicht mehr abstrahieren aus dieser realen, existentiell bedrohlichen Situation, ich kann mich davon nicht distanzieren, auch wenn ich mir jetzt vielleicht noch einige Wünsche ausdenke. Ich bin innerhalb dieser Situation. Ich bin auch Gefangener dieser Situation. Ich bin dieser Situation ausgeliefert. Und bitte: Nehmen Sie das zur Kenntnis und stellen Sie mir nicht Fragen, ob ich das so oder anders herum oder ob ich noch was Drittes irgendwie wünschen würde. Wie Sie es für richtig halten, so machen Sie es. Punkt, Aus, Ende!"

Ich würde es (sc. das Vorlegen einer Patientenverfügung) als einen völlig unangemessenen Fremdkörper empfinden, der die Beziehung zwischen dem, der im Sterben liegt und mir als Begleiter stört, weil er die Ernsthaftigkeit dieser existentiellen Sterbebegleitung lächerlich macht. Die Begleitung wird dann nämlich abhängig von der Laune, in der ich vor einem Jahr oder vor fünf Jahren vielleicht unter dem Eindruck eines Fernsehfilms vom Vorabend gewesen bin und dann bestimmte Kreuze gemacht habe. Und das ist eine Verspottung und Verhöhnung der Authentizität der Beziehung in der Sterbebegleitung und gehört deswegen nicht in die Begleitung, gehört gerade unter dem Aspekt der Würde des Menschen eigentlich verboten.

In der Sterbebegleitung der Hospizsituation - zumal in meinen eigenen vier Wänden - habe ich gewissermaßen ein Heimspiel und in der Regel auch Angehörige, Nachbarn und Freunde, die irgendwie direkt oder indirekt mit von der Partie sind. Ich befinde mich also gewissermaßen in meiner eigenen Biografie: räumlich und zeitlich und zwischenmenschlich. Da kommt eigentlich der Gedanke gar nicht auf, hier eine abstrakte Verfügung auch noch zu brauchen.

Abgesehen davon, dass medizinische Maßnahmen ohne Indikation ohnehin verboten sind, halte ich Vorformulierungen in die eine wie in die andere Richtung für fatal, weil sie geeignet sind - und das ist jetzt auch auf den Hospizbereich zu beschränken -, die Gefahr zu vergrößern, dass ein solches Hospizteam nicht zu seinem eigenen, die Situationen tragenden Handlungsstil findet. Die Wirksamkeit eines Hospizteams hängt davon ab, dass man aus sich selber heraus und aus der Erfahrung, aus den einzelnen Situationen, aus der Begegnung mit dem Menschen heraus, die Signale aller aktuell Beteiligter bündelnd, seinen Stil finden kann. Und nur so kann auch dieses tragende Vertrauen zustande kommen. Und zum Vertrauen gehört, dass es auch etwas trägt, was sich später als fehlerhaft herausstellt. Selbstverständlich kann das passieren. Das kann aber doch am Ende des Lebens - egal in welcher Situation und egal mit welcher Verfügung - immer passieren. Das gehört zum menschlichen Leben dazu. Und diese Möglichkeit will ich nicht missen.

In zwei Richtungen wäre die Verfügung schädlich: Einmal in Richtung auf mich, weil ich diese natürliche Ungewissheit meiner letzten Lebenszeit im Sterben nicht durch irgendwelche abstrakten rationalen Überlegungen beeinflussen will. Ich will sie durchleben und von mir aus auch so durchleiden, wie es eben kommt. Und wenn ich für mich so eine Verfügung formuliere, dann wirkt sie sich zum anderen auch in Richtung auf die Begleiter - egal ob auf einer Intensivstation oder im Hospiz - so aus, dass sie nur noch damit beschäftigt sind, sich gegenüber vermuteten Wünschen und Forderungen von Betroffenen abzusichern, so dass es zu einer eigenen spontanen Handlungsweise, die man braucht, um eine vertrauensvolle Sterbebegleitung zu finden, überhaupt nicht mehr kommt.

Das heißt: Die Patientenverfügung zerstört den Hospizgedanken! Deswegen würden Hospizler ihre eigene Idee verraten und verunmöglichen, wenn sie sich für Verfügungen einsetzen würden. Das mag gut gemeint sein, sie zerstören aber das, was sie eigentlich wollen. Ich glaube, dass dieses Mittel der Verfügungen das falsche Mittel ist. Es geht so nicht. Nicht nur Ärzte, sondern auch die im Hospizteam Tätigen sind eher zu ermutigen, diese schwierige Grauzone nicht unter der Angst der Absicherung zu entwürdigen. Man kann sie nur ermutigen, sich immer wieder klar zu machen, dass die juristische Ebene nicht zu verwechseln ist mit der Ebene des gelebten Lebens. Juristische Regeln erfassen eine Gesamtmenge von Problemen und betreffen nie den Einzelfall. Und Menschen im Hospiz haben es grundsätzlich immer nur - und zwar existentiell - mit einzigartigen Einzelfällen zu tun. Eben dies spüren offenkundig die meisten Menschen, weshalb es tröstlich ist, dass - trotz aller augenblicklich aufgeregt-modischen Werbung - stets nur eine kleine Minderheit auf den Sicherheitswunderglauben einer Verfügung setzt. Für die Praxis wird das nie eine große Bedeutung haben.

Auszug aus: Sich fügen oder verfügen? Interview mit Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner über Patientenverfügungen, in: Die Hospiz-Zeitschrift 2 (2000) Ausgabe 3: "Patientenverfügungen: Wer verfügt über das Sterben?", S. 5-9.