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Rembrandt - Joseph und Potiphars Weib, um 1634

Machtmissbrauch und sexuell geprägte Grenzverletzungen in der Bibel

Missbrauchsstudie der EKD 2024

Kritische Stimmen zur Missbrauchsstudie

Meine Kritik an der Studie: zu teuer (3,6 Mio Euro) für eine Studie, die auf wenig eigener Forschung beruht, sondern vor allem vorhandene Literatur und darin beschriebene Fälle heranzieht und interessegeleitet neu bewertet, kirchlichen Partnern mittels Fragebogen die eigentliche Aufgabe aufbürdet und sich dabei über mangelnde Kooperation beklagt. Die Ergebnisse werden hochgerechnet, aufgebauscht, dramatisiert und für weitere Bearbeitungsansprüche und Finanzforderungen missbraucht.

Wazlawik: "Für die Kirche war die Präsentation in gewisser Weise aufregender als für uns, weil die Studie Ergebnisse hervorbringt, die an den Kern der evangelischen Kirche gehen. Sexualisierte Gewalt ist in allen Handlungsfeldern von Kirche und Diakonie präsent, und das Ausmaß ist größer als bekannt. Damit muss sich die Kirche befassen." (Tut sie aber nur zögerlich und nebenbei.)

Der Jurist und frühere Bundesrichter Thomas Fischer lehnt die Bezeichnungen "sexuelle Gewalt" und "sexualisierte Gewalt" im Zusammenhang mit Sexualdelikten gegen Kinder ab, da zu diesen auch Kommunikationsdelikte gezählt werden, die keine Gewalt im allgemein üblichen Sinn enthalten. Er beanstandet begriffliche Unschärfe und fehlende Differenzierung von Missbrauch, Zwang, Gewalt, Drohung, Nötigung oder Übergriff. Darüber hinaus kritisiert er einen dem Framing dienenden Gebrauch als "Aufmerksamkeits- und Empörungsauslöser".

Die Betroffenen sind verwirrt, weil sie die Studie nicht verstehen (Bandwurm-Sätze, wissenschaftliche Sprache) und auch nicht verstehen, was sie für sie bedeutet. Das macht sie wütend und zugleich ratlos. Die evangelische Kirche hat auf diese Kritik bereits reagiert. Sie will die Studie in leichte Sprache übersetzen. Ein Veröffentlichungsdatum gibt es dafür noch nicht. (SH-Magazin vom 7. Februar 2024)

Die kompromisslose Null Toleranz Haltung gegenüber den Tätern liefert komplexes Beziehungsgeschehen der inquisitorischen Nachforschung und Aburteilung durch interessengeleitete Betroffene aus, deren Agieren nicht kritisch hinterfragt wird.

Inhaltlich spektakulär und zeitlich überholt:

der sächsische Jugendwart mit seiner geradezu lächerlichen Attitüde, den Jugendlichen "unter die Arme zu greifen" und sie "bei den Eiern zu packen", möglich nur im sächsisch-pietistischen Milieu alter Art, im Zeitraum 1964-2010 - ohne wirksame Kontrolle einer vorgesetzten Instanz;

der progressive und liberale Pfarrer, der sich (ab 1972) neben seiner Ehefrau auf jeweils zehnjährige Nebenbeziehungen in zwei aufeinanderfolgenden Gemeindeverwendungen einlässt.

Eine differenzierte Aufarbeitung unter (pastoral-)psychologischen Aspekten ist angesichts der klaren Täter-Opfer-Determinierung und Ablehnung der Pastoralpsychologie durch die soziologische Betrachtung in beiden Fällen nicht möglich.

Die von besorgten Eltern eines angeblich betroffenen Kindes vorgebrachten (aber wohl fantasierten) Missbrauchshandlungen eines anderen Kindergartenkindes mit problematischen Reaktionen der Erwachsenen auf allen Ebenen (darunter ein eskalierender Streit zwischen einer behinderten lesbischen Pastorin und einem schwulen Mitarbeiter der Gemeinde). Warum dieser singuläre Fall in einer EKD-Studie abgehandelt werden muss, bleibt unerfindlich!

Zwei besonders spektakuläre Fälle fälschlich behaupteter "organisierter sexualisierter Gewalt" werden aufwendig und umfangreich präsentiert im wahrsten Sinne des Wortes - nämlich aus dem gnädigen Vergessen törichten (gleichwohl gefährlichen!) und glücklicherweise lokal begrenzten Erwachsenenverhaltens in das Präsens einer bundesweiten Aufregung geholt. Was sich auf eine Landeskirche, ja einen Kirchenkreis beschränken ließe, muss plötzlich von allen mitgetragen und mitverantwortet werden. Man könnte das auch abhandeln unter der Überschrift "Missbrauch mit dem Missbrauch". Die angeführten Kita-Fälle sind sehr speziell und sollten deshalb nicht zur Gewinnung allgemeiner Einsichten herangezogen werden.

Überzogene Forderungen der Betroffenen: Im Einzelfall sollen (nach Maßgabe eines Kölner Gerichtsurteils) bis zu 300.000 Euro Anerkennungsgeld gezahlt werden. Frage: Wie hoch ist die Zahl derer, die eine solch hohe Entschädigungssumme in ihrem Fall von der Ev. Kirche erwarten?

Dramatische Beschreibungen der Tatfolgen:

"Sexualisierte Gewalt tötet. Sie zerstört nicht nur Leben, sie tötet." "Sind doch ihre Mörder, die Täter, Beschäftigte in einer Institution, die Nächstenliebe von ihren Altären predigt und Blut auf ihren Talaren trägt." (S. 505 f.)

"Missbrauch ist keine Bagatelle. Missbrauch zerstört Leben. Nach einem Missbrauch ist kein normales Leben mehr möglich. Jeder Schritt, jeder Versuch, eines zu führen, braucht Mut, Kraft und sehr viel Anstrengung." (Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung)

Sind hier noch die Relationen gewahrt? Was sollten die Frauen sagen oder machen, die am Ende des Zweiten Weltkriegs von russischen Soldaten vergewaltigt wurden - wie z.B. meine verstorbene Schwiegermutter in dem zur Plünderung freigegebenen Frauenstein im Erzgebirge? Sie entschieden sich für das Leben.

Die empirische Basis für die Ergebnisse bei Interviews, Befragungen und Untersuchungen ist sehr schmal. Sie liegt im Teilprojekt D jeweils unter 100 und macht damit aus Prozentzahlen Hochrechnungen.

Das "unsägliche Unrecht", die "schweren Verletzungen an Leib und Seele", von denen Bischöfin Kirsten Fehrs spricht, haben keinen Anhalt an den im Abschlussbericht beschriebenen Fällen von sexuell geprägter Übergriffigkeit, wohl aber am Ahrensburger Missbrauchsskandal und - assoziativ - am Begriff der "sexualisierten Gewalt", der 3.260-mal im Abschlussbericht vorkommt.

Die hochgerechneten Zahlen für den Bereich der EKD mögen erschrecken, die tatsächlichen für die Nordkirche fallen mit 124:58:33 Betroffene:Beschuldigte:Pastoren in 75 Jahren eher moderat aus.

Es ist zu fragen, welche tatsächlichen Vorkommnisse hinter den Zahlen stecken und ob allen Fällen das Prädikat "sexualisierte Gewalt" (nach § 1a Abs 1 PrävG Nordkirche) zukommt: 1 "Eine Verhaltensweise ist sexualisierte Gewalt, wenn ein unerwünschtes sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betroffenen Person verletzt wird. 2 Sexualisierte Gewalt kann verbal, nonverbal, durch Aufforderung oder durch Tätlichkeiten geschehen. 3 Sie kann auch in Form des Unterlassens geschehen, wenn die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter für deren Abwendung einzustehen hat."

Ist die Auslieferung an die Sicht der Betroffenen wirklich hilfreich?

Betroffene wachsen aus der Opferrolle heraus und werden Mitbestimmende bei der Aufarbeitung. Sie stellen maximale Forderungen auf:

  • Keine Toleranz gegenüber den Tätern
  • Überwindung des Föderalismus
  • Öffentliches Eingeständnis der Schuld
  • Umbau der Kirche und Diakonie
  • Rücktritte der Verantwortlichen
  • Neue Kultur der Achtsamkeit

Wann wurden zuletzt solche radikalen Forderungen an die Kirche gestellt?

Aus dem Brief eines Freundes

"Ich habe die Missbrauchsstudie nicht gelesen und werde es nicht tun. Darum kann ich dir nicht kompetent antworten. ...

Wir wissen beide, dass wir als Gestalter dieser Kirche auch immer mal wieder den Christus verraten und Kirche in ihr Gegenteil verkehrt haben. Das ist in Fällen des gewalttätigen Missbrauchs besonders eklatant. Hier ist die Kirche um des Christus willen gehalten, die Fälle aufzuklären, die Täter der gerechten Strafe zuzuführen und den Opfern Wiedergutmachung zu leisten. Und sie hat das rückhaltlos zu tun. Zumal sich die Debatte darüber gesellschaftlich so verselbständigt hat, dass alles Verstehen-Wollen und jede Form von Selbst-Entschuldigung die Kirche mit ihrer Botschaft völlig unglaubwürdig machte.

Da ich die Studie nicht gelesen habe, kann ich nicht beurteilen, ob die Sachverhalte überzogen dargestellt sind. Wir können vermutlich beide viele Geschichten erzählen von heilsamem Handeln unserer Kirche. Und wir sind vermutlich beide überzeugt, dass die Missbrauchsfälle eher eine Randwirklichkeit unserer Kirche sind. Aber das so zu sehen, ist längst nicht mehr unsere eigene Möglichkeit. Dazu sind die Opfer zu zahlreich und die Verschleierungen zu lang andauernd.

Ich bewundere deine Kraft und deinen Kampfesmut an dieser Stelle. Mir fehlt momentan beides. Ich habe mich allerdings bei der Lektüre deiner Kritik an der Studie still gewundert, wie wenig die Studie die Kirche als Christuswirklichkeit meditiert. Wie ausschließlich sie eine menschliche Täter- und Opfer-Organisation zu sein scheint.

Ich brauche diese Kirche nicht mehr. Mir genügt am Sonntag ein guter Gottesdienst, in dem der Christus mich tröstet, aufrichtet, seine Gemeinde sammelt und dem Bösen mit dem Guten wehrt. Es tut mir leid, dass ich dir vermutlich mit meinen Ausführungen nicht helfen konnte. Aber das ist zurzeit meine Sicht der Dinge."

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